Samstag, 23. August 2014

12. Sonntag nach Trinitatis - Kommentar zu den LG vom 07.09.2014

Einleitung: "Die Themenreihe des Monats September 'Das Glaubensleben' zeigt Aspekte auf, die jeder für sich in Betracht ziehen soll, um seine Glaubenshaltung Gott gegenüber zu überprüfen. Für den heutigen Sonntagsgottesdienste gilt der folgende Schwerpunkt:
Gott vertrauen – Das betrifft unser tägliches Leben und zeigt sich im Hinwenden zu Gott. So lernen wir ihn mehr kennen, hören auf seine Stimme, lassen uns von ihm führen und folgen dem Vorbild Christi. (…)
Unser Leben im Glauben zu führen, dient uns selbst, aber auch anderen: „Gott erwählt Menschen zu deren eigenem und zum Heil anderer; sie sind ausersehen, in seinem Heilsplan mitzuwirken. Wenn Gott erwählt, ist damit Aufgabe oder Bestimmung verbunden. So sind diejenigen herausgerufen und zum Christsein erwählt, die getauft sind und sich zu Jesus Christus als Herrn und Heiland bekennen. Sie sollen das Evangelium weitertragen. Solche Christen, die wiedergeboren sind aus Wasser und Geist, haben darüber hinaus die Voraussetzung zur Erstlingsschaft erhalten. Aus dieser Schar wird die Braut Christi bereitet, um im Reich des Friedens die königliche Priesterschaft zu bilden“ (KNK 4.5.3).

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: „Merkmale der Herde Christi.“

Predigtgrundlage für den Gottesdienst ist Lk 12, 32: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“

Als Kernbotschaft wird folgendes formuliert: „Wer Gott vertraut, erfährt schon heute seine Nähe und wird sein Reich ererben.“

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „Im Lukasevangelium (Lk 9, 51–19, 28) wird von Unterweisungen der Jünger, Auseinandersetzungen mit dem Volk und von Gleichnissen auf dem Weg Jesu von Galiläa nach Jerusalem berichtet. Jesus mahnte, ähnlich wie in der Bergpredigt (Mt 6, 25–34), seine Jünger vor unnötigem Sorgen. Ihre größte Sorge soll es sein, in das Reich Gottes zu gelangen, das schon jetzt in der Verkündigung Jesu gegenwärtig ist. Das Lukasevangelium warnt vor Reichtum (Vers 33). Der Abschnitt mit unserem Bibelwort mündet in Hinweise zum Bereitsein auf das Kommen des Herrn (Lk 12,35–59).“

Schließlich werden die LG so zusammengefasst:
Wir vertrauen Gott in unserem täglichen Leben. Zur Herde Christi gehören diejenigen, die
  • ihn kennen;
  • seine Stimme hören;
  • ihm nachfolgen.
Wer Gott vertraut, erfährt schon heute seine Nähe und wird in ewiger Gemeinschaft mit ihm sein“ (alle Zitate aus den o. g. LG).

Kommentar: Die oben zitierte Bibelstelle steht im Lk zwischen zwei Gleichnissen: „Vom reichen Kornbauern“ (Lk 12, 16-21) und „Von den wachenden Knechten“ (Lk 12, 35-38). Dazwischen steht eine Predigt Jesu, die von Lk kunstvoll als Lehrgedicht gestaltet wurde und sich zum einen gegen angstvolles Sorgen wendet und zum anderen einen Lebensstil in Armut und in kompromissloser Zuwendung zu Gott fordert. Hier finden wir einen deutlichen Bezug zum der Bergpredigt (Mt 5-7).
An dieser Stelle möchte ich den Zwischenteil, also Lk 12, 22-34 zitieren. Hier sind die „Merkmale der Herde Christi“ aufgezählt: sie ist mutig, frei, zuversichtlich, arm und gottergeben. 

"Von der falschen und der rechten Sorge
Und er sagte zu seinen Jüngern: Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Das Leben ist wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung. Seht auf die Raben: Sie säen nicht und ernten nicht, sie haben keinen Speicher und keine Scheune; denn Gott ernährt sie. Wie viel mehr seid ihr wert als die Vögel! Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Wenn ihr nicht einmal etwas so Geringes könnt, warum macht ihr euch dann Sorgen um all das übrige? Seht euch die Lilien an: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Darum fragt nicht, was ihr essen und was ihr trinken sollt, und ängstigt euch nicht! Denn um all das geht es den Heiden in der Welt. Euer Vater weiß, dass ihr das braucht. Euch jedoch muss es um sein Reich gehen; dann wird euch das andere dazugegeben. Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.
Vom wahren Schatz
Verkauft eure Habe und gebt den Erlös den Armen! Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen. Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz" (EU).


Am 07.09.2014 feiern wir den 12. Sonntag nach Trinitatis – Die große Verwandlung – und hören die Geschichten von der Heilung des Taubstummen und von der Bekehrung des Paulus. Beides macht uns deutlich, dass mit dem Kommen Jesu eine grundlegenden Verwandlung geschehen ist“ (Senftleben, 1988, 76).

Der Wochenpsalm im Ablauf des (ev.) Kirchenjahres ist der Ps 147:
"Bekenntnis zu Gott, dem Retter Israels
Halleluja! Gut ist es, unserm Gott zu singen; schön ist es, ihn zu loben. Der Herr baut Jerusalem wieder auf, er sammelt die Versprengten Israels. Er heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre schmerzenden Wunden. Er bestimmt die Zahl der Sterne und ruft sie alle mit Namen. Groß ist unser Herr und gewaltig an Kraft, unermesslich ist seine Weisheit. Der Herr hilft den Gebeugten auf und erniedrigt die Frevler. Stimmt dem Herrn ein Danklied an, spielt unserm Gott auf der Harfe! Er bedeckt den Himmel mit Wolken, spendet der Erde Regen und lässt Gras auf den Bergen sprießen. Er gibt dem Vieh seine Nahrung, gibt den jungen Raben, wonach sie schreien. Er hat keine Freude an der Kraft des Pferdes, kein Gefallen am schnellen Lauf des Mannes. Gefallen hat der Herr an denen, die ihn fürchten und ehren, die voll Vertrauen warten auf seine Huld.
Dank für Gottes Güte
Jerusalem, preise den Herrn, lobsinge, Zion, deinem Gott! Denn er hat die Riegel deiner Tore fest gemacht, die Kinder in deiner Mitte gesegnet; er verschafft deinen Grenzen Frieden und sättigt dich mit bestem Weizen. Er sendet sein Wort zur Erde, rasch eilt sein Befehl dahin. Er spendet Schnee wie Wolle, streut den Reif aus wie Asche. Eis wirft er herab in Brocken, vor seiner Kälte erstarren die Wasser. Er sendet sein Wort aus und sie schmelzen, er lässt den Wind wehen, dann rieseln die Wasser. Er verkündet Jakob sein Wort, Israel seine Gesetze und Rechte. An keinem andern Volk hat er so gehandelt, keinem sonst seine Rechte verkündet. Halleluja" (EU)!

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich bei Mk 7, 31-37:
"Jesus heilt einen Taubstummen
Jesus verließ wieder das Gebiet von Tyrus und zog über Sidon zum See von Galiläa, mitten ins Gebiet der Zehn Städte. Dort brachten sie einen Taubstummen zu ihm mit der Bitte, ihm die Hände aufzulegen. Jesus führte ihn ein Stück von der Menge fort und legte seine Finger in die Ohren des Kranken; dann berührte er dessen Zunge mit Speichel. Er blickte zum Himmel empor, stöhnte und sagte zu dem Mann: 'Effata!' Das heißt: 'Öffne dich!' Im selben Augenblick konnte der Mann hören; auch seine Zunge löste sich und er konnte richtig sprechen. Jesus verbot den Anwesenden, es irgendjemand weiterzusagen; aber je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt. Die Leute waren ganz außer sich und sagten: 'Wie gut ist alles, was er gemacht hat: Den Gehörlosen gibt er das Gehör und den Stummen die Sprache'"(GNB)!

Kommentar: "Mk 7, 31-37, 'Mit allen Sinnen leben! - Die Heilung eines Taubstummen', ist eine klassische Wundererzählung. Sie gehört zu der Gattung der Therapien. Sie thematisiert die Heilung eines Einzelnen, um exemplarisch das heilende Handeln Jesu darzustellen. (...) Das gesamte Markusevangelium verfolgt die Absicht, Jesus als den Sohn Gottes darzustellen. Es versteht sich selbst als Evangelium von Sohn Gottes (Mk 1, 1) und findet seinen Höhepunkt im Bekenntnis des römischen Hauptmanns unter dem Kreuz: 'Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn' (Mk, 15, 39). Die kontextuelle Interpretation verortet die Heilung des Taubstummen im Gesamtaufbau des Evangeliums. (...)
Aus sozialgeschichtlicher Perspektive kann die Lokalisierung der Erzählung im heidnischen Gebiet als Hinweis darauf verstanden werden, dass Gottes Zuwendung in Christus allen Menschen gilt, unabhängig ihrer ethnischen Herkunft und ihrer sozioökonomischen Situation. (...) Die Wundererzählung lädt dazu ein, aus der Begegnung mit Jesus Heil und Heilung zu empfangen und Teil der Gemeinschaft derer zu werden, die auf ihn vertrauen. (...)
Die tiefenpsychologischen Deutung rückt der Taubstumme in den Fokus. Seine Sprachlosigkeit wird vor dem Hintergrund gemachter Erfahrungen wie Ablehnung und Zurechtweisung gedeutet. Der taubstumme Junge wird zum Anwalt all derer, die 'mundtot' gemacht werden, weil sie unbequeme Wahrheiten sagen. Er vertritt jenen Menschen, deren Nöten niemand zuhören will und die als Last empfunden werden. Die Folgen sind Einsamkeit und Isolation, wie es das Schweigen des Taubstummen symbolisiert. Die Wundererzählung zeichnet Jesus als denjenigen, der sich dem Kranken zuwendet" (Ueberschaer, Mit allen Sinnen leben! 328f. In: Zimmermann, 2013, 323-331.
Nach Grün wird der Prozess der Heilung in 5 Schritten beschrieben, weil die Zahl 5 das "Überschreiten ins Göttliche" symbolisiert. So "können wir sagen: Jesus macht den Taubstummen offen für die Begegnung mit anderen Menschen und offen für die Begegnung mit Gott" (Grün, 2013, 121ff, insb. 122).

Sonntag, 17. August 2014

11. Sonntag nach Trinitatis - Kommentar zu den LG vom 31.08.2014

Einleitung: "Die Gottesdienste im August entfalten die unterschiedlichen Aspekte des Themas „Aus dem Wesen Christi handeln“. Diejenigen, die an Jesus Christus glauben und ihn bekennen, haben nicht nur eine bestimmte innere Haltung, sondern zeigen eine entsprechende Handlungsweise. Nachfolge Christi bedeutet, den Herrn zum Vorbild zu nehmen, ihm in Wort und Tat nachzueifern. (…) 

Der letzte Sonntagsgottesdienst im August hat das Gebet zum Schwerpunkt. Wichtige Gebete Jesu werden in den Evangelien überliefert: das Gebet 'Unser Vater' und das hohepriesterliche Gebet. Darüber hinaus, auch das wird in den Evangelien bezeugt, wandte sich Jesus Christus immer wieder an seinen himmlischen Vater. Hierin ist er ein Vorbild für alle, die die Nähe Gottes suchen. Denn göttliche Nähe wird im Alltag vor allem in einem intensiven Gebetsleben erfahren. Ohne Gebet ist christliches Leben undenkbar. Im Gebet wendet sich nicht nur der Gläubige an Gott, auch Gott lässt sich im Gebet vernehmen.“ 

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: „Beharrlich beten!“ 

Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK ist Lk 18, 7-8a: „Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er‘s bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. 

Als Kernbotschaft wird folgendes formuliert: „Wir wollen in allen Lebenssituationen beharrlich zu Gott beten, besonders um die Wiederkunft Christi.“ 

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „Bei dem Gleichnis 'von der bittenden Witwe' geht es nicht um den Richter, sondern allein um die beharrliche Bitte der Witwe. Wenn sich schon der ungerechte Richter durch Bitten dazu bringen lässt, Recht zu sprechen, wie viel mehr wird dies Gott tun, der ja gerecht ist. Die Gemeinde soll im Bitten um die Wiederkunft Christi nicht nachlassen.“ 

Schließlich werden die LG so zusammengefasst: 
  • Zuweilen werden wir ungerecht behandelt oder gar um unseres Glaubens willen verfolgt. Dann wollen wir beharrlich aufschauen zu Gott.
  • Gottes Auserwählte rufen Tag und Nacht in tiefem Glauben zu Gott. 
  • Gott wird in Kürze Recht schaffen und alle ungöttlichen Mächte in ihre Schranken weisen“ (alle Zitate aus den o. g. LG). 
Kommentar: In den LG wird die Bibelstelle nicht vollständig zitiert, ohne dies jedoch genauer kenntlich zu machen. So wird diese Stelle eindeutiger gemacht, als sie es tatsächlich ist, wenn formuliert wird, dass es bei diesem Gleichnis "allein um die Witwe" (s. o.) gehe  (siehe dazu: Merz, 2007). Liest man diese Stelle in Gänze, dann ergeben sich folgende Fragen: „Entweder wird das Problem angesprochen, dass Gott seine Hilfe für die Auserwählten hinauszögert, dann antwortet V. 8a direkt auf dies Problem der sogen. Parusieverzögerung. Oder es wird angedeutet, dass die ausbleibende Reaktion Gottes auf das anhaltende Gebet der Gemeinde als Zeichen seiner Langmut zu deuten ist. Dem entspräche dann der zweifelnde und mahnende V. 8b, der fragt, ob der Menschensohn bei seinem so dringend erwarteten Kommen dann auch wirklich Glauben auf der Erde vorfinden wird“ (Merz, Die Stärke der Schwachen, 668. In: Zimmermann, 2007, 667ff). 

Dementsprechend nennt Merz diese Parabel eine „der am meisten deutungsoffenen Gleichnisse Jesu“ (ebd., 677), zumal die Wahl der Protagonisten (Witwe – Richter) und die gewählten Formulierungen beinahe übersättigt sind mit Anklängen an alttestamentliche Traditionen. Trotz der (scheinbar) eindeutigen Einleitungsfloskel scheint in diesem Gleichnis nicht das Beten im Mittelpunkt zu stehen, sondern eher die Witwe als Bild der Entrechteten, rechtlich Benachteiligten und Armen (vergl. dazu auch Jeremias, 1996). Es wird darauf aufmerksam gemacht, den Armen und Entrechteten immer wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Es wird aber auch darauf verwiesen, dass unbestechliche und unparteiliche Urteile nur mit und bei Gott möglich sind (sozioökonomische Perspektive).
Einen psychologischen Deutungsvorschlag bietet Anselm Grün in der Tradition von Eugen Drewermann (z. B. 1992 oder auch Tiefenpsychologie und Exegese I+II) und J. G. Jung an. Er verlegt den gesamten Vorgang in das Innerseelische und erkennt in der Witwe und in dem Richter innerpsychische Instanzen (siehe dazu: Grün, Jesus als Therapeut, 2013, 20ff). 
Auch eine kollektive Perspektive und Wahrnehmung ist möglich. Die Witwe wird dann zu einem Bild für das Volk Israels, das sich gegen Ungerechtigkeiten erwehren muss. 
Diese Parabel kann also zurecht als eine „der am meisten deutungsoffenen Gleichnisse Jesu“ angesehen werden. 


Am 31.08.2014 feiern wir den 11. Sonntag nach Trinitatis – Pharisäer und Zöllner – und hören die Parabel von der „Werbung in eigener Sache (Vom Pharisäer und Zöllner“); Popp, 681ff. In: Zimmermann, 2007). 

Der Wochenpsalm im Ablauf des (ev.) Kirchenjahres ist der Ps 113: 
"Gottes Hoheit und Huld 
Halleluja! Lobet, ihr Knechte des HERRN, lobet den Namen des HERRN! Gelobt sei der Name des HERRN von nun an bis in Ewigkeit! Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des HERRN! Der HERR ist hoch über alle Völker; seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist. Wer ist wie der HERR, unser Gott, im Himmel und auf Erden? Der oben thront in der Höhe, der herniederschaut in die Tiefe, der den Geringen aufrichtet aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Schmutz, dass er ihn setze neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes; der die Unfruchtbare im Hause zu Ehren bringt, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird. Halleluja" (LUT)!

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich bei Lk, 18, 9-14: 
"Die Beispielgeschichte von dem Pharisäer und dem Zolleinnehmer 
Dann wandte sich Jesus einigen Leuten zu, die voller Selbstvertrauen meinten, in Gottes Augen untadelig dazustehen, und deshalb für alle anderen nur Verachtung übrig hatten. Er erzählte ihnen folgende Geschichte: 'Zwei Männer gingen hinauf in den Tempel, um zu beten, ein Pharisäer und ein Zolleinnehmer. Der Pharisäer stellte sich vorne hin und betete leise bei sich: ›Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen, alle diese Räuber, Betrüger und Ehebrecher, oder auch wie dieser Zolleinnehmer hier! Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe dir den vorgeschriebenen Zehnten sogar noch von dem, was ich bei anderen einkaufe!‹ Der Zolleinnehmer aber stand ganz hinten und getraute sich nicht einmal, zum Himmel aufzublicken. Er schlug sich zerknirscht an die Brust und sagte: ›Gott, hab Erbarmen mit mir, ich bin ein sündiger Mensch!‹' Jesus schloss: 'Ich sage euch, der Zolleinnehmer ging aus dem Tempel in sein Haus hinunter als einer, den Gott für gerecht erklärt hatte – ganz im Unterschied zu dem Pharisäer. Denn alle, die sich selbst groß machen, werden von Gott gedemütigt, und alle, die sich selbst gering achten, werden von ihm zu Ehren gebracht' (GNB). 

Kommentar: Diese Gleichnis schließt sich unmittelbar an das Gleichnis "Von der bittenden Witwe" an. Bei dieser Parabel hat sich eine anthropologische resp. psychologische Deutung durchgesetzt. Sie verdeutlicht Haltungen von Menschen gegenüber Gott aber auch die immer wieder auch widersprüchlichen Haltungen des Individuums gegenüber Gott. Die Parabel malt mit Worten aus, wie Gott handelt, wer er ist und in welcher Haltung der Mensch ihm begegnen soll: Der Mensch muss in seiner Sünde alles auf das Geschenk des Erbarmens Gottes setzen. In diesem Sinne ist das Gleichnis eine Werbung in Gottes eigener Sache (vergleiche dazu ausführlich: Popp, Thomas, Werbung in eigener Sache. In: Zimmermann, 2007, 681ff).
"Gnade bedeutet nicht Aufhebung der Differenz im Status. Der Sünder wird nicht Gott, wenn er einen gnädigen Gott findet. Aber er traut Gott in seiner Heiligkeit zu dass er nicht nur heilig ist, sondern auch - oder gerade deswegen - gnädig und barmherzig. Dass der heilige Gott zugleich auch der barmherzige und gnädige ist, das ist Hoffnung und Ahnung der Menschen, seit dem es Menschen gibt; (...). Für den Heiligen Gott bedeutet das im Grunde, dass er 'über seinen Schatten springt', dass er so souverän ist, auch den Unheiligen nicht zu vernichten, sondern bestehen zu lassen, ja seine Schuld aufzuheben. Sei mir gnädig, das heißt auch: Rechne mir meine Sünden (meine Gottferne, Gottvergessenheit) nicht an, du kannst darüber hinwegsehen - ich nicht. Der Abstand zwischen Gott und Menschen ist überhaupt nur durch diese Geste Gottes zu überbrücken. (...) solche Gnade, wie sie uns gegenüber nötig ist, kann nur Gott üben" (Berger, 2006, C, 283).




Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei (BWV 179); Kantate zum 11. Sonntag nach Trinitatis
Sopran: Helmut Wittek (Tölzer Knabenchor), Tenor: Kurt Equiluz, Baß: Robert Holl
Tölzer Knabenchor - Gerhard Schmidt-Gaden
Concentus musicus Wien - Nikolaus Harnoncourt

Gemälde: La Parabole du Pharisien et du Publicain (Dirk van Delen)

Veröffentlicht am 12.06.2012

Sonntag, 10. August 2014

10. Sonntag nach Trinitatis - Kommentar zu den LG vom 24.08.2014

Einleitung: "Die Gottesdienste im August entfalten die unterschiedlichen Aspekte des Themas „Aus dem Wesen Christi handeln“. Diejenigen, die an Jesus Christus glauben und ihn bekennen, haben nicht nur eine bestimmte innere Haltung, sondern zeigen eine entsprechende Handlungsweise. Nachfolge Christi bedeutet, den Herrn zum Vorbild zu nehmen, ihm in Wort und Tat nachzueifern.“

Im Gegensatz zu den anderen August-Sonntagen werden zu dem heutigen Sonntag keine weitere Ausführungen vorgenommen.

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: „Gott will unser Heil!“

Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK ist 1 Tess 5, 9-11: „Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, das Heil zu erlangen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. Darum ermahnt euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.“

Als Kernbotschaft wird folgendes formuliert: „Gott will unser Heil. Wir wollen mit ihm in ewiger Gemeinschaft leben.“

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „Apostel Paulus macht den Thessalonichern deutlich, dass Jesus Christus für die Lebenden und die Entschlafenen kommen wird (1 Thess 4, 13–18). Dann zeigt er, wie das Leben im Licht des 'kommenden Tages' sein wird (1 Thess 5, 1–11). 'Zorn' bedeutet hier Gericht. Der 1. Thessalonicherbrief ist wohl die älteste Schrift des Neuen Testaments." Er ist etwa 50 n. Chr. entstanden.

Schließlich werden die LG so zusammengefasst:
Gott will die ewige Gemeinschaft mit uns. Auch wir wollen ewig mit Gott leben, deshalb richten wir uns am Willen Gottes aus, indem wir 
  • unseren Alltag nach dem Evangelium gestalten. 
  • ihm unsere Gedanken und Vorhaben im Gebet vortragen. 
Jeder ist aufgerufen, die Gemeinschaft zu fördern. Dazu wollen wir uns untereinander trösten, ermuntern und erbauen“ (alle Zitate aus den o. g. LG). 

Kommentar: „Es ist bezeichnend, dass wir schon bzw. gerade in einem so frühen Dokument des ältesten Christentums den Widerschein erfahrener Parusieverzögerung haben: nach 4, 13 sind Probleme aufgetreten, weil Christen gestorben sind, obwohl man sie doch als die 'messianische Generation' gepriesen hatte. Die Frage war: werden sie dann also die Wiederkunft Jesu nicht erleben, weil sie zuvor gestorben sind? Um diese Frage zu beantworten, führt Paulus die Auferstehung als Hilfsvorstellung ein (...).
Der Brief ist an Christen gerichtet, die noch nicht lange Christen sind. Daher überwiegt zunächst das Thema Bekehrung. In keinem anderen Brief behandelt Paulus dieses Thema so intensiv. (…) Noch nicht entfaltet sind die Rechtfertigungslehre und die Auffassung vom stellvertretenden Tod Jesu (nur kurz erwähnt in 5, 10). Im übrigen erwartet Paulus die entscheidende rettende Rolle Jesu erst für dessen Wiederkunft (1, 10). Auch sonst betont dieser Brief die Endereignisse sehr stark. Die Anfrage der Gemeinde nach dem Geschick der Toten beantwortet Paulus mit einer genauen Abfolge der Endereignisse. In 5, 1-11 fügt er ein Stück Wachsamkeitsmahnung hinzu, dass große Ähnlichkeit mit den entsprechenden Mahnungen der Verkündigung Jesu hat“ (BNÜ, Einleitung zu 1 Thess, 40f).

Christsein aus paulinischer Perspektive (Thess 5, 1-11) bedeutet weder Weltflucht in apokalyptischer Passivität und Jenseitsorientiertheit, noch die Identifizierung mit irgendeiner Art Weltzustand. (…) Christsein bedeutet demnach eine eschatologisch begründete, kritische Distanz zur Welt, bei gleichzeitiger Nähe und Zugewandtheit zum Nächsten. Dies je neu zu aktualisieren und zu konkretisieren, ist Aufgabe einer wachen und nüchternen Verkündigung (vergl. Franz Laub, 1985, 33).


Am 24.08.2014 "feiern wir den 10. Sonntag nach Trinitatis – Die Kirche und das Volk Israel. Traditionell ist der 10. Sonntag nach Trinitatis dem Volk Israel als dem Volk Gottes gewidmet. Erst recht nach dem Holocaust darf unser Verhältnis zum jüdischen Volk nicht mehr von pauschalen Vorwürfen geprägt sein. Vielmehr muss unser Bemühen einer Verständigung zwischen der christlichen Gemeinde und dem jüdischen Volk dienen. Jesus selbst gehörte diesem Volk an. Wir haben kein Recht, es als das verworfene Volk zu betrachten" (vergl. Röm 9-11; aus: Senftleben, Mit dem Kirchenjahr leben, 1988, 75). 

Als Holocaust [ˈhoːlokaʊ̯st, holoˈkaʊ̯st] (griechisch ὁλόκαυστον holókauston ‚vollständig verbrannt‘) oder Shoa (hebräisch ‏הַשּׁוֹאָה‎ ha'Schoah „die Katastrophe“, „das große Unglück / Unheil“) wird der Völkermord an 5,6 bis 6,3 Millionen Menschen bezeichnet, die das Deutsche Reich in der Zeit des Nationalsozialismus als Juden definierte. Er gründete auf dem vom NS-Regime propagierten Antisemitismus, zielte auf die vollständige Vernichtung der europäischen Juden und wurde von 1941 bis 1945 systematisch, ab 1942 auch mit industriellen Methoden durchgeführt. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie. Stichwort: Holocaust. Download vom 10.08.2014.)

An dieser Stelle möchte ich einmal ausdrücklich auf die Bibel in gerechter Sprache hinweisen. Sie bemüht sich in dreierlei Hinsicht um "Gerechtigkeit":  
  • Geschlechtergerechte Sprache;
  • Gerechtigkeit in Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog;
  • Soziale Gerechtigkeit.
"Insbesondere für das Neue Testament ist in den letzten Jahrzehnten in großer Breite aufgedeckt worden, wie sehr dieses auf jüdischem Boden entstandene Buch antijüdisch und damit verzerrt gelesen und entsprechend übersetzt wurde. Ein Beispiel sind die so genannten 'Antithesen' der Bergpredigt, wo die Übersetzung 'Ich aber sage euch' im Sinne einer Wendung Jesu gegen die jüdische Tradition verstanden werden muss. Es handelt sich jedoch um eine von den Rabbinern oft verwendete Formel, die sachgemäßer mit 'Ich lege euch das heute so aus' wiedergegeben wird, womit es nicht mehr um 'Antithesen' geht (GSB, 11).
Die GSB leistet meiner Ansicht nach einen hervorragenden Beitrag für den christlich-jüdischen Dialog und wird somit dem eigenen Anspruch mehr als gerecht.

Der Wochenpsalm im Ablauf des (ev.) Kirchenjahres ist Ps 74:
משכיל לאסף למה אלהים זנחת לנצח יעשן אפך בצאן מרעיתך׃ 
 זכר עדתך קנית קדם גאלת שבט נחלתך הר־ציון זה שכנת בו׃ 
 הרימה פעמיך למשאות נצח כל־הרע אויב בקדש׃ 
 שאגו צרריך בקרב מועדך שמו אותתם אתות׃ 
 יודע כמביא למעלה בסבך־עץ קרדמות׃ 
 ועת פתוחיה יחד בכשיל וכילפת יהלמון׃ 
 שלחו באש מקדשך לארץ חללו משכן־שמך׃ 
 אמרו בלבם נינם יחד שרפו כל־מועדי־אל בארץ׃
 אותתינו לא ראינו אין־עוד נביא ולא־אתנו ידע עד־מה׃ 
 עד־מתי אלהים יחרף צר ינאץ אויב שמך לנצח׃ 
 למה תשיב ידך וימינך מקרב חוקך כלה׃ 
 ואלהים מלכי מקדם פעל ישועות בקרב הארץ׃ 
 אתה פוררת בעזך ים שברת ראשי תנינים על־המים׃ 
 אתה רצצת ראשי לויתן תתננו מאכל לעם לציים׃ 
 אתה בקעת מעין ונחל אתה הובשת נהרות איתן׃ 
 לך יום אף־לך לילה אתה הכינות מאור ושמש׃ 
 אתה הצבת כל־גבולות ארץ קיץ וחרף אתה יצרתם׃ 
 זכר־זאת אויב חרף יהוה ועם נבל נאצו שמך׃ 
 אל־תתן לחית נפש תורך חית ענייך אל־תשכח לנצח׃ 
 הבט לברית כי מלאו מחשכי־ארץ נאות חמס׃ 
 אל־ישב דך נכלם עני ואביון יהללו שמך׃ 
 קומה אלהים ריבה ריבך זכר חרפתך מני־נבל כל־היום׃ 
 אל־תשכח קול צרריך שאון קמיך עלה תמיד׃

(Quelle: Public Domain: Freely available for non-commercial use provided that this header is included in its entirety with any copy distributed. From the printed Code manual deposited with the electronic text: "The project was made possible ... by the gracious release granted by the Deutsche Bibelstiftung, Stuttgart, publishers of Biblia Hebraica Stuttgartensia."

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich bei Lk 19, 41-48. An dieser Stelle wird jedoch davon abweichend Röm 9 wiedergegeben:

"Der Schmerz des Apostels über die Ablehnung des Evangeliums durch Israel, sein eigenes Volk
Was ich jetzt sage, sage ich in der Gegenwart Christi. Mein Gewissen bezeugt mir, und der Heilige Geist bestätigt mir, dass es die Wahrheit ist und dass ich nicht übertreibe: 
Der Gedanke an die Angehörigen meines Volkes, an meine Brüder, mit denen mich die gemeinsame Herkunft verbindet, erfüllt mein Herz mit tiefer Traurigkeit. Ihretwegen bin ich in ständiger innerer Not; ich wäre sogar bereit, für sie ein Verfluchter zu sein, ausgestoßen aus der Gemeinschaft mit Christus.
Sie sind ja Israeliten; ihnen hat Gott die Sohneswürde geschenkt. Ihnen hat er sich in seiner Herrlichkeit gezeigt, mit ihnen hat er seine Bündnisse geschlossen, ihnen hat er das Gesetz und die Ordnungen des Gottesdienstes gegeben, ihnen gelten seine Zusagen.
Sie sind Nachkommen der Stammväter, die Gott erwählt hat, und aus ihrer Mitte ist seiner irdischen Herkunft nach der Messias hervorgegangen, Christus, der Herr über alles, der für immer und ewig zu preisende Gott. Amen.
Das wahre Israel 
Es ist nun nicht etwa so, dass Gottes Zusagen hinfällig geworden wären. Aber es gehören eben nicht alle Israeliten zum ´wahren` Israel.
Nicht alle, die von Abraham abstammen, sind deshalb schon seine ´wahren` Kinder. Vielmehr ´war zu Abraham gesagt worden`: »Als deine Nachkommen sollen die gelten, die von ´deinem Sohn` Isaak abstammen.«
Mit anderen Worten: Nicht die leibliche Abstammung macht Menschen zu Kindern Gottes; zur wahren Nachkommenschaft Abrahams werden nur die gerechnet, die aufgrund der Zusage, die Gott ihm gegeben hatte, von ihm abstammen.
Diese Zusage lautete nämlich so: »´Nächstes Jahr` um diese Zeit werde ich wiederkommen, und dann wird Sara einen Sohn haben.«
Und nicht nur dieses eine Mal war es so, sondern auch bei Rebekka, als sie Zwillinge bekam. Beide waren zwar Söhne unseres Stammvaters Isaak, aber Gott ist es, der beruft. Noch bevor sie daher geboren waren und irgendetwas Gutes oder Böses getan hatten, sagte er zu Rebekka: »Der Ältere wird sich dem Jüngeren unterordnen müssen.« Damit bekräftigte Gott die bleibende Gültigkeit seines Plans, nach dem seine Wahl nicht von menschlichen Leistungen abhängig ist, sondern einzig und allein von seiner eigenen freien Entscheidung.
Darum heißt es in der Schrift auch: »Jakob habe ich meine Liebe zugewandt, aber Esau habe ich von mir gestoßen.«
Gott schenkt sein Erbarmen, wem er will
Welchen Schluss sollen wir nun daraus ziehen? Ist Gott etwa ungerecht? Niemals!
Er sagt ja zu Mose: »Wenn ich jemand mein Erbarmen schenke, tue ich es, weil ich Erbarmen mit ihm habe; wenn ich jemand mein Mitleid erfahren lasse, geschieht es, weil ich Mitleid mit ihm habe.«
Es liegt also nicht am Menschen mit seinem Wollen und Bemühen13, sondern an Gott und seinem Erbarmen.
Aus diesem Grund steht in der Schrift auch folgendes Wort, das Gott dem Pharao sagt: »Die Macht, die du hast, habe ich dir deshalb gegeben, weil ich an dir meine eigene Macht zeigen will und weil dadurch mein Name überall in der Welt bekannt werden soll.«
Wir sehen also, dass Gott so handelt, wie er es will: Er lässt den einen sein Erbarmen erfahren, und er bewirkt, dass ein anderer sich ihm gegenüber verschließt.
Man wird mir jetzt entgegenhalten: »Warum zieht er uns dann noch zur Rechenschaft? Dem, was er beschlossen hat, kann sich ja doch niemand widersetzen!«
So? Was bildest du dir ein? Du bist ein Mensch und willst anfangen, mit Gott zu streiten? Sagt etwa ein Gefäß zu dem, der es geformt hat: »Warum hast du mich so gemacht, ´wie ich bin`?«
Hat der Töpfer nicht das Recht, über den Ton zu verfügen und aus ein und derselben Masse zwei verschiedene Gefäße zu machen – eines für einen ehrenvollen Zweck und eines für einen weniger ehrenvollen Zweck?
Und ´was sagst du dazu,` dass Gott die, die ´gewissermaßen` als Gefäße seines Zorns für das Verderben bereitgestellt sind, bisher mit so großer Geduld getragen hat? Er will zwar, dass man ´an ihnen die Auswirkungen` seines Zorns sieht und seine Macht erkennt.
Andererseits will er aber auch, dass man erkennt, in welch reichem Maß er seine Herrlichkeit den Gefäßen seines Erbarmens schenkt – uns, für die er diese Herrlichkeit vorbereitet hat. Er hat uns dazu bestimmt, an ihr teilzuhaben, und hat uns auch berufen, nicht nur aus dem jüdischen Volk, sondern auch aus den anderen Völkern, wie er es im ´Buch des Propheten` Hosea sagt: »Ich werde die mein Volk nennen, die nicht mein Volk waren; ich werde die meine geliebte Frau nennen, die bisher ungeliebt war.«
»Gerade dort, wo zu ihnen gesagt wurde: ›Ihr seid nicht Gottes Volk!‹, werden sie ›Söhne ´und Töchter` des lebendigen Gottes‹ genannt werden.«
Und Jesaja ruft im Hinblick auf Israel aus: »Selbst wenn die Israeliten so zahlreich wären wie der Sand am Meer, wird doch nur ein kleiner Teil von ihnen übrig bleiben und gerettet werden.
Denn was der Herr angekündigt hat, das wird er ohne Einschränkung und ohne Verzögerung auf der ganzen Erde ausführen.«
Was Jesaja hier über Israel vorausgesagt hat, sagt er auch an einer anderen Stelle. Es heißt dort29: »Hätte der Herr, der allmächtige Gott, nicht einige von unserem Volk übrig gelassen, dann wäre es uns wie Sodom ergangen; es wäre mit uns dasselbe geschehen wie mit Gomorra.«

Das Scheitern Israels in seinem Bemühen um Gerechtigkeit
Welchen Schluss sollen wir nun daraus ziehen? Menschen, die nicht zum jüdischen Volk gehören, sind von Gott für gerecht erklärt worden, ohne sich darum bemüht zu haben. Sie haben die Gerechtigkeit empfangen, deren Grundlage der Glaube ist.
Israel hingegen hat bei all seinem Bemühen, das Gesetz zu erfüllen und dadurch zur Gerechtigkeit zu gelangen, das Ziel nicht erreicht, um das es beim Gesetz geht.
Und warum nicht? Weil die Grundlage, auf die sie bauten, nicht der Glaube war; sie meinten, sie könnten das Ziel durch ihre eigenen Leistungen erreichen. Das Hindernis, an dem sie sich stießen, war der »Stein des Anstoßes«, von dem es in der Schrift heißt: »An dem Grundstein, den ich in Zion lege, wird man sich stoßen; er ist ein Fels, an dem man zu Fall kommen wird. Aber wer ihm vertraut, wird vor dem Verderben bewahrt werden« (NGÜ).




Johann Heinrich Schein (1586-1630): Israelis Brünnlein. Geistliche Madrigale zu 5 oder 6 Stimmen und B. c.
Ensemble Vocal Européen - Leitung: Philippe Herreweghe
Download vom 10.08.2014

Mittwoch, 6. August 2014

9. Sonntag nach Trinitatis - Kommentar zu den LG vom 17.08.2014

Einleitung: "Die Gottesdienste im August entfalten die unterschiedlichen Aspekte des Themas 'Aus dem Wesen Christi handeln.' Diejenigen, die an Jesus Christus glauben und ihn bekennen, haben nicht nur eine bestimmte innere Haltung, sondern zeigen eine entsprechende Handlungsweise. Nachfolge Christi bedeutet, den Herrn zum Vorbild zu nehmen, ihm in Wort und Tat nachzueifern. (...)

'Sich gemeinsam freuen' ist der Schwerpunkt, der in der Predigt am heutigen Sonntag bedacht werden soll. Ausgangspunkt ist ein Wort Jesu, das im Johannesevangelium überliefert wird. Es spricht davon, dass diejenigen, die säen, und diejenigen, die ernten, keinesfalls in Konkurrenz zueinander stehen, sondern dass ihnen die Freude über das Getane gemeinsam zusteht. 

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: „Säen, pflegen und mit Freuden ernten.“ 

Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK ist Joh 4, 36: „Wer erntet, empfängt schon seinen Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit sich miteinander freuen, der da sät und der da erntet.“

Als Kernbotschaft wird folgendes formuliert: „Wie Jesus wollen wir aussäen. Dann werden wir uns an der Ernte gemeinsam erfreuen.“

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „Das Bild der Ernte steht für gewöhnlich für das Gericht. In Joh 4, 36 ist wohl die Mission, das Zeugnis für Jesus Christus, gemeint. Diejenigen, die das Evangelium gepredigt haben ('säen'), und diejenigen, die den Erfolg dieser Predigt dann schließlich sehen ('ernten'), werden in einen Zusammenhang gebracht. Wer 'sät', der hat häufig Mühe und es gibt wohl Misserfolge, wer 'erntet', der hat diese Mühe nicht, er profitiert von etwas, zu dem er vielleicht gar nichts beigetragen hat (V 38)." 

Schließlich werden die LG so zusammengefasst: 
  • „Wir wollen uns nicht durch ungünstige Bedingungen davon abhalten lassen, zu säen und die Saat zu pflegen. Dann können wir auch mit Freuden ernten. 
  • Unser himmlischer Vater ermöglicht uns schon hier und jetzt 'kleine Ernten' bei uns selbst, in der Familie oder in der Gemeinde. 
  • Zuletzt werden alle, die gesät, die Pflanzen gepflegt und geerntet haben, den höchsten Lohn empfangen: die Krone des ewigen Lebens“ (alle Zitate aus den o. g. LG). 

Kommentar: Das Bibelwort ist aus eine weiten Zusammenhang herausgenommen, der nicht ausreichend deutlich wird. Jesus und seine Jünger befinden sich auf der Durchreise in Samarien. Zuvor findet das Gespräch Jesu mit der samaritischen Frau am sogen. Jakobsbrunnen statt (Joh 4, 4-30). Im Anschluss daran wird ein Gespräch Jesu mit seinen Jüngern (Joh 4, 31-38) wiedergegeben. Aus diesem Abschnitt ist die o. g. Bibelstelle herausgelöst. Diese „Doppelgeschichte“ lohnt es genauer zu betrachten. An dieser Stelle verweise ich dazu auf  Wengst, Das Johannesevangelium I, 2004, 160-185.
"Normalerweise ist es so, dass diejenigen, die säen, auch ernten, was sie gesät haben. Wo das auf dieser elementaren Ebene nicht geschieht, ist es schlimm. (...) Im Blick auf das Entstehen und Wachsen von Gemeinde ist das allerdings kein Unglück, dass diejenigen, die säen, andere sind als diejenigen, die ernten. In der Ernte, wer immer sie vollzieht, kommt die Arbeit derer zum Ziel, die gesät haben; und die in den Genuss der Ernte kommen, werden selber  wieder solche, die säen" (edb., 183). Anders ist eine lebendige und zugleich missionarische Gemeinde nicht denkbar.


Am 17.08.2014 "feiern wir den 9. Sonntag nach Trinitatis – Anvertraute Gaben – und hören das Gleichnis von den anvertrauten Talenten und erfahren, dass Gott selbst uns mit Gaben beschenkt, die wir einsetzen können und sogar sollen. Dabei brauchen wir nicht zu sorgen, etwas zu verlieren, denn Gottes Gaben können nicht verloren gehen“ (aus: Senftleben, Mit dem Kirchenjahr leben, 1988, 74). 

Der Wochenpsalm im Ablauf des (ev.) Kirchenjahres ist Ps 40: 
"Dank, Hingabe und Bitte
Ich hoffte, ja ich hoffte auf den Herrn. Da neigte er sich mir zu und hörte mein Schreien. Er zog mich herauf aus der Grube des Grauens, aus Schlamm und Morast. Er stellte meine Füße auf den Fels, machte fest meine Schritte. Er legte mir ein neues Lied in den Mund, einen Lobgesang auf ihn, unsern Gott. Viele werden es sehen, sich in Ehrfurcht neigen und auf den Herrn vertrauen. Wohl dem Mann, der auf den Herrn sein Vertrauen setzt, sich nicht zu den Stolzen hält noch zu treulosen Lügnern. Zahlreich sind die Wunder, die du getan hast, und deine Pläne mit uns; Herr, mein Gott, nichts kommt dir gleich. Wollte ich von ihnen künden und reden, es wären mehr, als man zählen kann. An Schlacht- und Speiseopfern hast du kein Gefallen, Brand- und Sündopfer forderst du nicht. Doch das Gehör hast du mir eingepflanzt; darum sage ich: Ja, ich komme. In dieser Schriftrolle steht, was an mir geschehen ist. Deinen Willen zu tun, mein Gott, macht mir Freude, deine Weisung trag ich im Herzen. Gerechtigkeit verkünde ich in großer Gemeinde, meine Lippen verschließe ich nicht; Herr, du weißt es. Deine Gerechtigkeit verberge ich nicht im Herzen, ich spreche von deiner Treue und Hilfe, ich schweige nicht über deine Huld und Wahrheit vor der großen Gemeinde. Du, Herr, verschließ mir nicht dein Erbarmen, deine Huld und Wahrheit mögen mich immer behüten! Denn Leiden ohne Zahl umfangen mich, meine Sünden holen mich ein, ich vermag nicht mehr aufzusehn. Zahlreicher sind sie als die Haare auf meinem Kopf, der Mut hat mich ganz verlassen. Gewähre mir die Gunst, Herr, und reiß mich heraus; Herr, eile mir zu Hilfe! In Schmach und Schande sollen alle fallen, die mir nach dem Leben trachten. Zurückweichen sollen sie und vor Scham erröten, die sich über mein Unglück freuen. Vor Schande sollen alle schaudern, die zu mir sagen: 'Dir geschieht recht.' Alle, die dich suchen, frohlocken; sie mögen sich freuen in dir. Die dein Heil lieben, sollen immer sagen: Groß ist Gott, der Herr. Ich bin arm und gebeugt; der Herr aber sorgt für mich. Meine Hilfe und mein Retter bist du. Mein Gott, säume doch nicht"(EU)! 

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich bei Mt 25, 14-30:
"Das Gleichnis vom anvertrauten Geld
'Es ist wie bei einem Mann, der verreisen wollte. Er rief vorher seine Diener zusammen und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Zentner Silbergeld, dem anderen zwei Zentner und dem dritten einen, je nach ihren Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Der erste, der die fünf Zentner bekommen hatte, steckte sofort das ganze Geld in Geschäfte und konnte die Summe verdoppeln. Ebenso machte es der zweite: Zu seinen zwei Zentnern gewann er noch zwei hinzu. Der aber, der nur einen Zentner bekommen hatte, vergrub das Geld seines Herrn in der Erde. Nach langer Zeit kam der Herr zurück und wollte mit seinen Dienern abrechnen. Der erste, der die fünf Zentner erhalten hatte, trat vor und sagte: ›Du hast mir fünf Zentner anvertraut, Herr, und ich habe noch weitere fünf dazuverdient; hier sind sie!‹ ›Sehr gut‹, sagte sein Herr, ›du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich in kleinen Dingen als zuverlässig erwiesen, darum werde ich dir auch Größeres anvertrauen. Komm zum Freudenfest deines Herrn!‹ Dann kam der mit den zwei Zentnern und sagte: ›Du hast mir zwei Zentner gegeben, Herr, und ich habe noch einmal zwei Zentner dazuverdient.‹ ›Sehr gut‹, sagte der Herr, ›du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich in kleinen Dingen als zuverlässig erwiesen, darum werde ich dir auch Größeres anvertrauen. Komm zum Freudenfest deines Herrn!‹ Zuletzt kam der mit dem einen Zentner und sagte: ›Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nichts ausgeteilt hast. Deshalb hatte ich Angst und habe dein Geld vergraben. Hier hast du zurück, was dir gehört.‹ Da sagte der Herr zu ihm: ›Du unzuverlässiger und fauler Diener! Du wusstest also, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nichts ausgeteilt habe? Dann hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank bringen sollen, und ich hätte es mit Zinsen zurückbekommen! Nehmt ihm sein Teil weg und gebt es dem, der die zehn Zentner hat! Denn wer viel hat, soll noch mehr bekommen, bis er mehr als genug hat. Wer aber wenig hat, dem wird auch noch das Letzte weggenommen werden. Und diesen Taugenichts werft hinaus in die Dunkelheit draußen! Dort gibt es nur noch Jammern und Zähneknirschen'" (GNB).

Kommentar: Wer die Parabel im Kontext des Mt liest, wird betont sehen, dass es auf die Praxis ankommt, auf das tatsächliche Tun das als richtig Bekannten und Erkannten. Der dritte Sklave war böse, untätig und nutzlos und brachte in diesem Sinne keine Frucht. Die Interpretation bezüglich der Talente und der gigantischen Geldsummen sind uneinheitlich. Hier weist der Text eine eine sehr interpretationsfähige Leerstelle aus (vergl. dazu: Münch, Christian: Gewinnen oder Verlieren (Von den anvertrauten Geldern). In: Zimmermann (2007), 240-254). Eine Weise, sich dieser Leerstelle zu nähern, liegt in der Methode des sogen. Bibliologs, die ich 2014 auf dem Internationalen Kirchentag der NAK (IKT) kennengelernt habe.

Bibliolog ist eine Methode der interaktiven Auslegung biblischer Texte in Gruppen, in deren Verlauf die ganze Gruppe der Teilnehmenden gemeinsam einen Text auslegt. Ein biblischer Text wird dabei vorgelesen und von der moderierenden Leitung an bestimmten Stellen bewusst unterbrochen ("Shift"). Alle Teilnehmer/innen eines Bibliologes werden dann eingeladen, sich mit einer biblischen Gestalt zu identifizieren und aus dem Schutz der „Rolle“ heraus in "Ich-Form" deren Gedanken und Gefühle zu verbalisieren. Dadurch wird der biblische Text aus unterschiedlichen Perspektiven heraus ausgelegt, die immer auch etwas mit den Lebensfragen und Lebenssituationen der Mitwirkenden zu tun haben. Sowohl durch die eigenen Beiträge der Teilnehmenden als auch durch das passive Zuhören derer, die sich nicht aktiv beteiligen möchten, wird so ein intensives und ganzheitliches Erleben der Geschichte möglich.

Die Grundidee beim Bibliolog besteht darin, dass die Teilnehmenden aus der Perspektive verschiedener Charaktere der Geschichte heraus sprechen. Die Leitung verstärkt und vertieft diese Äußerungen ("Echoing"), führt die Geschichte weiter und beendet schließlich den Prozess. Ein Bibliolog dauert idealerweise ca. 15 bis 20 Minuten und ist daher unkompliziert einsetzbar im Gottesdienst, Schulunterricht und in der Gemeindearbeit, in Gruppen unterschiedlicher Größe, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeiten.

Bibliolog ist verwandt mit dem Bibliodrama. Beiden Ansätzen ist das Charakteristikum gemeinsam, dass sie den biblischen Text verlangsamen und dadurch unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung und Aneignung ermöglichen. Beim Bibliolog gibt jedoch grundsätzlich immer der Leiter den Text vor und weist auch die Rollen zu. Dies kann beim Bibliodrama, muss jedoch nicht der Fall sein. Beim Bibliodrama übernimmt der einzelne Teilnehmer während einer Arbeitseinheit eine Rolle, beim Bibliolog weist während des Verlaufs die Leitung den Teilnehmenden bestimmte Rollen zu und der einzelne Teilnehmende kann dann selbst darüber entschieden, ob und wie viele Rollen er übernimmt.

Entwickelt wurde die Methode in Nordamerika von dem jüdischen Psychodramatiker und Literaturwissenschaftler Peter Pitzele und seiner Frau Susan. Sie stellen den Bibliolog in die Tradition der jüdischen Bibelauslegung des Midrasch: Während einerseits der biblische Text ("schwarzes Feuer") unangetastet bleibt, bieten die biblischen Erzählungen andererseits viel Raum zwischen dem Erzählten ("weißes Feuer"), der mit eigenen Gedanken gefüllt werden kann.

Pitzele spricht selbst von "Psychodrama of the Bible" oder "Bibliodrama". Der Begriff "Bibliolog" wird in Deutschland zur Abgrenzung von den vielfältigen anderen Formen von Bibliodramagebraucht. Der Bibliolog wird aufgrund seiner im Vergleich zum anderen Formen des Bibliodrama einfacheren Durchführbarkeit häufig auch als "kleine Schwester des Bibliodrama" bezeichnet. Die Verbreitung des Bibliologs in Deutschland wurde vor allem von Uta Pohl-Patalong befördert.

Um selbst als Leiter/in Bibliologe durchführen und anleiten zu können, wird eine zertifizierte Grundausbildung empfohlen, welche in der Regel im Lauf einer Woche erworben werden kann (Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie. Stcihwort: "Bibliolog." Download vom 6.8.14).

Freitag, 1. August 2014

8. Sonntag nach Trinitatis - Kommentar zu den LG vom 10.08.2014

Einleitung: "Die Gottesdienste im August entfalten die unterschiedlichen Aspekte des Themas „Aus dem Wesen Christi handeln“. Diejenigen, die an Jesus Christus glauben und ihn bekennen, haben nicht nur eine bestimmte innere Haltung, sondern zeigen eine entsprechende Handlungsweise. Nachfolge Christi bedeutet, den Herrn zum Vorbild zu nehmen, ihm in Wort und Tat nachzueifern. (...)

Am Sonntag, den 10. August, ist der Schwerpunkt 'Toleranz üben.' Nun ist Toleranz kein Begriff, der sich im Neuen Testament findet, vielmehr spielt er erst seit dem Zeitalter der Aufklärung - also seit dem 18. Jahrhundert - eine Rolle. Allerdings gibt es schon in biblischer Zeit etwas, was auf Toleranz verweist, nämlich die Duldsamkeit dem Fremden, dem Anderen gegenüber. Schon vom Volk Israel wird gefordert, dass der Fremde, derjenige, der nicht dazugehört, nicht bedrängt werden soll. Es soll ihm vielmehr ein Leben möglich sein, in dem das Fremde und Andersartige zum Ausdruck kommen kann. Jesus zeigte schließlich eine Duldsamkeit, die bei seinen Zeitgenossen oft Anstoß erregte. Er ging nämlich mit Menschen um - mit offensichtlichen Sündern, mit Zöllnern, - mit denen ein frommer Mensch keine Gemeinschaft haben durfte. In der Praxis unserer Gemeinde ist es nicht immer leicht, dem Vorbild Jesu zu folgen und Duldsamkeit dem gegenüber zu üben, der Gedanken oder Verhaltensweisen hat, die nicht gerade landläufig sind.“ 

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: "Den Nächsten ernst nehmen.“ 

Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK ist Ex 12, 49: „Ein und dasselbe Gesetz gelte für den Einheimischen und den Fremdling, der unter euch wohnt. “

Als Kernbotschaft wird folgendes formuliert: "Das Heil in Jesus Christus gilt allen Menschen.“ 

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „Dem Bericht über den Auszug aus Ägypten folgen Bestimmungen zum Passafest. Unbeschnittene (Fremde) sollen am Passamahl nicht teilnehmen. Will ein 'Fremder' - also ein Nicht-Israelit, der dauerhaft im Land Israel wohnt - am Passa teilnehmen, dann muss er sich zuvor beschneiden lassen (Ex 12, 48) und sich dem Gesetz, also dem israelischen Ritualrecht, unterwerfen. Das Apostelkonzil in Jerusalem (ca. 50 n. Chr.) hat die Vorschrift der männlichen Beschneidung aufgehoben." 

Schließlich werden die LG so zusammengefasst:
"Das Evangelium Jesu Christi gilt allen Menschen. Diese Erkenntnis soll unser Verhalten beeinflussen. 
Wir nehmen das Evangelium ernst, indem wir
  • respektvoll bleiben und ausgleichend sind. 
  • dem Nächsten sein Anderssein zugestehen. 
  • jedem offen gegenübertreten und kein vorschnelles Urteil fällen“ (alle Zitate aus den o. g. LG). 

Kommentar: Etwas überraschend und auch ein wenig willkürlich wirkt es, von dieser Schriftstelle und den damit zusammenhängenden Begebenheiten auf das Thema „Toleranz“ zu schließen, da es in dem oben genannten Zusammenhang gerade nicht um Toleranz und um „Anerkennung von Anderssein“ geht, sondern um die Unterwerfung unter das Gesetz der Tora nach dem Auszug aus Ägypten. Apg 15 beschreibt dann, wie es nach dem Tod von Jesus von Nazareth weitergeht. Beiden Stellen ist gemeinsam, dass es jeweils um eine Selbstvergewisserung der noch jungen Religionen geht. Hier die Vergewisserung als Volk Gottes durch das Zeichen der Beschneidung, dort die Vergewisserung als Volk Gottes durch das Zeichen des Kreuzes und der damit verbundenen Gnade Jesu Christi. Jedoch geht es bei beiden Stellen gerade nicht um Toleranz, wenn man diese aus der Perspektive der anderen drei Weltreligionen betrachtet und auch dann nicht, wenn man die Bedeutung des Wortes „Toleranz“ beleuchtet. 

Der Toleranzgedanke bezeichnet in seiner „Bestform genau die Mitte zwischen einer Überbetonung von Differenzen und ihrer Einebnung“ (Lohmann, 2007, 230. In: Hübener & Orth, Stichwort: Toleranz, 230f). In den zitierten Bibelstellen kommt es jedoch zu einer Überbetonung einer dogmatischen Haltung (hier das „nur die Beschneidung“, dort das „nur aus Gnade!“). Toleranz steht immer im Zusammenhang mit „Selbstrelativierung“ und ist so eher ein gesellschaftspolitischer oder ein sozialpsychologischer Begriff. Eine Predigt über Toleranz und Selbstrelativierung im Zusammenhang mit Religion könnte sich beispielsweise auf  Lessings sogen. "Ringparabel" beziehen. 


Am 10.08.2014 "feiern wir den 8. Sonntag nach Trinitatis – Früchte des Geistes - und denken über die Zusage Jesu: 'Ihr seid das Licht der Welt!' nach“ (aus: Senftleben, Mit dem Kirchenjahr leben, 1988, 74). Der 10.08. ist zudem den Gedenktag der Zerstörung Jerusalems. 

Der Wochenpsalm im Ablauf des (ev.) Kirchenjahres ist Ps 48:
"Die Stadt Gottes – unüberwindbar für alle Feinde 
Groß ist der Herr und sehr zu loben in der Stadt unseres Gottes. Dort erhebt sich sein heiliger Berg, schön ragt er empor, eine Freude für die ganze Welt! Ja, der Berg Zion, der sich nach Norden erstreckt, gehört zur Stadt des großen Königs. Gott wohnt in ihren Palästen, und es ist überall bekannt: Er schenkt Zuflucht. Könige anderer Völker hatten sich verbündet und waren gemeinsam ´gegen die Stadt` gezogen. Doch schon bei ihrem Anblick waren sie starr vor Schreck, von Entsetzen gepackt ergriffen sie die Flucht.  Sie zitterten und bebten wie eine Frau, die in den Wehen liegt.  Einst waren sie wie mächtige Schiffe aus Tarsis, doch du hast einen Ostwind geschickt und sie zerschellen lassen. Vorher kannten wir es nur vom Hören, nun haben wir selbst gesehen, was Gott getan hat dort in der Stadt, wo der allmächtige Herr4 wohnt, in der Stadt unseres Gottes. Gott lässt sie für immer bestehen. Wir halten uns deine Gnade vor Augen, o Gott, wenn wir uns in deinem Tempel versammeln. Gott, so weit wie dein Name bekannt ist, so weit reicht auch dein Ruhm – bis an die Enden der Erde. Deine starke Hand schafft uns Gerechtigkeit darum soll Freude herrschen auf dem Berg Zion. Ja, alle Städte in Juda haben Grund, laut zu jubeln über die gerechten Urteile, die du vollstreckst.  Zieht rings um den Berg Zion, geht um die Stadt und zählt ihre Festungstürme! Bestaunt ihre Schutzwälle8 und richtet euren Blick auf die Paläste9! Dann könnt ihr späteren Generationen erzählen:  Ja, so ist Gott, er bleibt unser Gott für immer und ewig! Er wird uns führen bis zum Tod" (NGÜ).

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich bei Mt 5, 13-16:
"Salz der Erde und Licht der Welt 
'Ihr seid das Salz der Erde. Wenn jedoch das Salz seine Kraft verliert, womit soll man sie ihm wiedergeben? Es taugt zu nichts anderem mehr, als weggeworfen und von den Leuten zertreten zu werden. Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben.  Auch zündet niemand eine Lampe an und stellt sie dann unter ein Gefäß. Im Gegenteil: Man stellt sie auf den Lampenständer, damit sie allen im Haus Licht gibt.  So soll auch euer Licht vor den Menschen leuchten: Sie sollen eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen'" (NGÜ).

Kommentar: Im o. g. Beispiel heisst "Kraft verlieren" unwirksam werden. "Christliches Tun ist nicht daran zu messen, ob es 'gut gemeint' ist, sondern daran, ob die anderen sich anschließen können. Wirksam sein heißt Anschließbarkeiten schaffen, auf die Wirkung des Tuns bedacht sein, den anderen eine Fortsetzung ermöglichen. Das heißt: Die anderen so in unser Handeln und Verhalten hineinziehen, dass sie spontan mitspielen können. Den anderen einen Spielraum gemeinsamen Handelns abstecken. Doch abstecken sollten wir (Christen; MS). Und aufmerksam werden die Leute erst durch abweichendes Verhalten. Wie solches Verhalten aussieht, das hatte Jesus in den Seligpreisungen zuvor gesagt" (Berger, 2007, A "Von der Bewahrung der christlichen Identität, 144-147).




Hochgeladen am 09.10.2007
ERÖFFNUNGSINSZENIERUNG DES HOT* SEPTEMBER 2006, - Günter Junghans (Nathan), Werner Eng (Sultan Saladin)
*Hans Otto Theater Potsdam