Samstag, 29. Oktober 2016

23. Sonntag nach Trinitatis; mit einem Kommentar über die Leitgedanken der NAK zum 30. Oktober 2016


Die Kirche in der Welt

„Die Frage, ob man dem Staat Steuern zahlen solle oder nicht, steht am 23. Sonntag nach Trinitatis im Vordergrund. Die Kirche weiß, dass sie in dieser Welt nur Gast ist und daher auch Freiheit ihr gegenüber hat. Zugleich aber, da wir in dieser Welt leben, haben wir eine Verantwortung für sie wahrzunehmen, indem wir mit unserem Gebet für sie eintreten. Ein Staat aber, der den Menschen nicht achtet und ihm seine Würde nimmt, handelt entgegen dem Evangelium und wird daher auch von der Gemeinde Jesu zur Änderung seines Tuns aufgerufen werden“ (www.daskirchenjahr.de).

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir Ps 125:
Deine behütende Nähe - Die auf den Herrn hoffen
Wer sein ganzes Vertrauen auf Gott setzt, wird seinen Lebensweg nicht verlieren, sondern in deiner Hand bleiben, lieber Gott, wie alles bleibt, was du als dein Hoheitsgebiet erklärt hast. Wie wir umgeben sind von schützenden Mauern, so sind wir umwoben von deinen liebenden Kräften jetzt und alle Zeit. Dagegen kommen die Selbstsüchtigen nicht an. Lieber Gott, die Gewissheit, von dir mit so viel Kraft beschenkt zu werden, tut unendlich gut. Wer deinen Weg verlässt, hat sich die Folgen selbst zuzuschreiben. Der Frieden aber, deine behütende Nähe und unsere Hoffnung auf Leben, wachsen in der Gemeinde (Peter Spangenberg (2013): Höre meine Stimme. Die Psalmen)

Die Evangeliumslesung für den heutigen Sonntag steht in Mt 22, 15-22:
Die Frage nach der Steuer für den Kaiser
Daraufhin beschlossen die Pharisäer, Jesus mit einer verfänglichen Frage in die Falle zu locken. Sie schickten ihre Jünger zu Jesus und auch einige Parteigänger von Herodes; die sagten zu ihm: »Lehrer, wir wissen, dass es dir nur um die Wahrheit geht. Du lehrst klar und deutlich, wie wir nach Gottes Willen leben sollen. Denn du lässt dich nicht von Menschen beeinflussen, auch wenn sie noch so mächtig sind. Nun sag uns deine Meinung: Ist es nach dem Gesetz Gottes erlaubt, dem römischen Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht?« Jesus erkannte ihre böse Absicht und sagte: »Ihr Scheinheiligen, ihr wollt mir doch nur eine Falle stellen! Zeigt mir eins von den Geldstücken, mit denen ihr die Steuer bezahlt.« Sie gaben ihm eine Silbermünze, und er fragte: »Wessen Bild und wessen Name sind denn hier aufgeprägt?« »Das Bild und der Name des Kaisers«, antworteten sie. Da sagte Jesus: »Dann gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, - aber gebt Gott, was Gott gehört!« Solch eine Antwort hatten sie nicht erwartet. Sie ließen Jesus in Ruhe und gingen weg. (GNB)

Die Leitgedanken der NAK für den 23. Sonntag noch Trinitatis tragen die Überschrift „Unser Dienst für Lebende und Tote“

Die Predigtgrundlage findet sich in „Kol 3, 12: So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld.“ (LUT)

Begründet wird die Auswahl so: „Zur Vorbereitung für den Entschlafenengottesdienst am letzten Sonntag im Oktober ist es hilfreich, die Sonderausgabe Nr. 2 der Leitgedanken zum Gottesdienst zu lesen. Durch unsere Gebete können wir die Entschlafenen nicht erlösen, wir können ihnen aber unsere Liebe bezeugen. Die im Leben eingenommene Stellung zu Gott kann immer noch positiv durch Hinwendung zu ihm verändert werden. Dazu wollen wir Lebenden und Toten im Vorbild und in der Fürbitte dienen. (…)

Ausführungen: Durch die Taufe sind wir in den Leib Christi eingefügt worden, wir sind mit Christus begraben worden und mit ihm auferstanden (Röm 6,4). Wir haben die Gabe des Heiligen Geistes empfangen und bereiten uns auf die Wiederkunft Christi vor. Im Kolosserbrief wird deutlich gemacht, dass aus diesem Geschehen eine Aufgabe entspringt: „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes“ (Kol 3,1). An dem, der sucht, was „droben ist“, zeigen sich die Eigenschaften, die im Bibelwort erwähnt werden: „herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld.“ Jede dieser Eigenschaften steht in Beziehung zum Nächsten, dem man in dieser Weise begegnen und dienen soll. Derjenige, der es ernst meint mit seinem Glauben, wendet sich auch seinem Nächsten zu. Im Bibelwort sind zunächst einmal die Lebenden gemeint, doch wissen wir, dass auch Entschlafene unserer Zuwendung bedürfen“ (alle Zitate sind entnommen aus den o. g. Leitgedanken der NAK).

Zum heutigen Sonntag erklingt die Kantate: „Wohl dem, der sich auf seinen Gott“ (BWV 139) von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Er komponierte die Choralkantate 1724 in Leipzig für den 23. Sonntag nach Trinitatis und führte sie am 12. November 1724 erstmals auf. Sie basiert auf dem Kirchenlied von Johann Christoph Rube (1692).

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet: „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“ (T: Johann Jakob Schütz 1675; Johann Crüger 1653).

Kommentar: Mit der Überschrift "Steuern zahlen ist gut, Gottes Gebote halten ist besser" führt Berger (2012) aus: "(...). Ertrag: Jesus verkündet die Herrschaft Gottes. Sie ist jetzt verborgen und wird demnächst offenbar. Ihr Kommen vollzieht sich unter diesen beiden Erscheinungsformen. Die Herrschaft Gottes relativiert zwar jede irdische Herrschaft. Aber da sie eine Herrschaft der Gerechtigkeit ist, bejaht Jesus die allgemeinen sozialen Pflichten. Weil man diesen Satz: 'Gebt jedem, was ihr ihm schuldig seid und was ihm gebührt (Röm 13, 7) als ein Stück Gottesherrschaft auch ein Respektieren der bürgerlichen Pflichten. Sie hebt diese Pflichten nicht auf, sondern fordert sie geradezu, wenn sie denn Ausdruck vor Gerechtigkeit im Sinne des Erhalts des Sozialwesens sind. Weil also die Herrschaft Gottes, von der Jesus spricht, diesen wichtigen und wesentlichen moralischen Aspekt besitzt, deshalb ist Steuerzahlen geboten. Wo es aber nicht um die moralische Regelung des Miteinanders geht, sondern um Religion, da muss der Ansatz Jesu jeden religiösen Anspruch der Staatsgewalt auf Anbetung oder auch nur Verehrung ablehnen. Die Herrschaft Gottes umschließt und begrenzt daher menschliche Ordnung" (Berger, 2012, A, 253f).

Zur Sonderlehre des Entschlafenenwesens der NAK habe ich in diesem Blog bereits verschiedene Ausführungen gemacht. Derzeit fordert die Kirchenleitung der NAK offenbar recht offensiv, neben dem Bekenntnis zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, das Bekenntnis zu ihren Sonderlehren (Propria) ein. Auf kritische Anmerkungen zu den Sonderlehren begegnet die Kirchenleitung zunehmend ungeduldig und z. T. sogar unbarmherzig. Es entsteht nach innen der Eindruck, als würden diese derzeit geschärft wieder in den Vordergrund gerückt und so der Annäherungsprozess an die großen deutschen christlichen Kirchen zumindest verlangsamt, wenn nicht gar unterbunden werden soll. Siehe dazu die Posts in diesem Blog "In eigener Sache I und II."
Neu ist, dass in der oben angesprochenen "Sondernummer 2" Literaturangaben zu diesem Thema gemacht werden. Im einzelnen sind dies:
Merklein, Helmut; Gielen, Marlis: Der erste Brief an die Korinther. Kapitel 11, 2–6, 24. Gütersloh 2005, S. 332. Marlis Gielen, geb. 1959 ist Professorin für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Salzburg.
Art. „Tod“. In: Handbuch theologischer Grundbegriffe. Bd. 4. München 1970, S. 243. Hierbei scheint es sich um ein erstmals 1962 erschienenes Werk herausgegeben von Heinrich Fries zu handeln.

Freitag, 21. Oktober 2016

22. Sonntag nach Trinitatis; mit einem Kommentar über die Leitgedanken der NAK zum 23. Oktober 2016


In Gottes Schuld


„Der 22. Sonntag nach Trinitatis befasst sich mit Schuld im weiteren Sinne, bekommt aber sein Thema vom Gleichnis vom "Schalksknecht", das die Bitte des Vaterunsers "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern" deutlich unterstreicht. Andere Aspekte der Schuld, die an diesem Sonntag durch die Perikopen angesprochen werden, sind die der Sündenvergebung und -bindung (!) durch die Nachfolger Jesu, der unbedingten Sündhaftigkeit des Menschen, selbst gegen seinen Willen, durch das Gesetz, und die der Unfähigkeit des Menschen, seine Schuld wieder gutzumachen. Die Vielschichtigkeit von Schuld macht es unmöglich, dieses Thema letztgültig abzuhandeln, da man auch immer selbst in der Schuld verhaftet ist und sich damit auch nicht zum Richter über andere erheben kann. Am 22. Sonntag nach Trinitatis hören wir das Gleichnis vom Schalksknecht. Wir erfahren das kostbare Geschenk der Vergebung unserer unermesslichen Schuld durch den Tod Jesu Christi und danken Gott dafür, indem wir selbst unser Leben durch die Kraft der Vergebung gestalten und uns unserem Nächsten vergebend zuwenden“ (www.daskirchenjahr.de).

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir Ps 143:
Ein Gebet in Lebensgefahr
Herr, höre mein Gebet, vernimm mein Flehen! Du bist doch treu und schenkst Rettung, bitte antworte mir! Geh nicht ins Gericht mit mir, deinem Diener – vor dir könnte doch kein Mensch bestehen! ´Erhöre mich`, denn der Feind trachtet mir nach dem Leben, er hat mich zu Boden getreten, mich in grauenvolle Finsternis getrieben – ich gleiche denen, die begraben und für immer vergessen sind. Ich habe allen Mut verloren, mein Herz ist starr vor Verzweiflung. Ich denke zurück an die früheren Tage, sinne nach über all dein Tun; meine Gedanken richten sich auf das, was deine Hände geschaffen haben. Ich strecke meine Hände zu dir aus, meine Seele dürstet nach dir wie dürres Land nach Wasser. Erhöre mich rasch, Herr, ich verzehre mich vor Verlangen nach deiner Hilfe! Verbirg dein Angesicht nicht vor mir, sonst gleiche ich denen, die ´sterben und` unter die Erde kommen. Lass mich schon früh am Morgen deine gnädige Antwort hören, denn auf dich vertraue ich. Lass mich den Weg wissen, den ich gehen soll, – meine Seele sehnt sich nach dir. Befreie mich von meinen Feinden, Herr, denn bei dir habe ich Schutz gesucht. Lehre mich, so zu handeln, wie du es willst; denn du bist mein Gott. Dein guter Geist führe mich ´wieder` über ebenes Land. Mach deinem Namen Ehre, Herr, und rette mein Leben. Erweise deine Treue, hilf mir aus aller Bedrängnis; und weil du gnädig bist, vertilge meine Feinde – vernichte sie alle, die mich bedrängen und mir nach dem Leben trachten! Denn ich bin dein Diener. (NGÜ)

Die Evangeliumslesung für den heutigen Sonntag steht in Mt 18, 21-35:
Unbegrenzte Bereitschaft zur Vergebung
Da wandte sich Petrus an Jesus und fragte ihn: »Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester an mir schuldig wird, wie oft muss ich ihnen verzeihen? Siebenmal?« Jesus antwortete: »Nein, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal!«
Das Gleichnis vom hartherzigen Schuldner
Jesus fuhr fort: »Macht euch klar, was es bedeutet, dass Gott angefangen hat, seine Herrschaft aufzurichten! Er handelt dabei wie jener König, der mit den Verwaltern seiner Güter abrechnen wollte. Gleich zu Beginn brachte man ihm einen Mann, der ihm einen Millionenbetrag schuldete. Da er nicht zahlen konnte, befahl der Herr, ihn zu verkaufen, auch seine Frau und seine Kinder und seinen ganzen Besitz, und den Erlös für die Tilgung der Schulden zu verwenden. Aber der Schuldner warf sich vor ihm nieder und bat: ›Hab doch Geduld mit mir! Ich will dir ja alles zurückzahlen.‹ Da bekam der Herr Mitleid; er gab ihn frei und erließ ihm auch noch die ganze Schuld. Kaum draußen, traf dieser Mann auf einen Kollegen, der ihm einen geringen Betrag schuldete. Den packte er an der Kehle, würgte ihn und sagte: ›Gib zurück, was du mir schuldest!‹ Der Schuldner fiel auf die Knie und bettelte: ›Hab Geduld mit mir! Ich will es dir ja zurückgeben!‹ Aber sein Gläubiger wollte nichts davon hören, sondern ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld beglichen hätte. Als das seine anderen Kollegen sahen, konnten sie es nicht fassen. Sie liefen zu ihrem Herrn und erzählten ihm, was geschehen war. Er ließ den Mann kommen und sagte: ›Was bist du für ein böser Mensch! Ich habe dir die ganze Schuld erlassen, weil du mich darum gebeten hast. Hättest du nicht auch Erbarmen haben können mit deinem Kollegen, so wie ich es mit dir gehabt habe?‹ Dann übergab er ihn voller Zorn den Folterknechten zur Bestrafung, bis er die ganze Schuld zurückgezahlt haben würde. So wird euch mein Vater im Himmel auch behandeln, wenn ihr eurem Bruder oder eurer Schwester nicht von Herzen verzeiht.« (GNB)

Die Leitgedanken der NAK für den 22. Sonntag noch Trinitatis tragen die Überschrift „Im Reich Gottes gibt es keine Diebe“ 

Die Predigtgrundlage findet sich in „Ex 20,15: Du sollst nicht stehlen.“ (LUT)

Begründet wird die Auswahl so: „Das siebte Gebot - „Du sollst nicht stehlen“ – wird am Sonntag, den 23. Oktober thematisiert. Die uns von Christus geschenkte Freiheit durch das Evangelium (Gal 5,13) gilt es, vor Dieben zu schützen oder auch energisch zu verteidigen. Die, die Christus lieben und sich nach dem Reich Gottes ausrichten, „stehlen“ nicht, also nehmen dem Nächsten nichts, sondern suchen sein Wohl zu „vermehren“. Sie fördern den Glauben des Nächsten und helfen, dass auch er sich auf die Wiederkunft Christi vorbereiten kann“ (alle Zitate sind entnommen aus den o. g. Leitgedanken der NAK).

Zum heutigen Sonntag erklingt die Kantate: „Ich armer Mensch, ich Sündenknecht (BWV 55) von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Er komponierte sie in Leipzig für den 22. Sonntag nach Trinitatis, den 17. November 1726.

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet: „Jesus nimmt die Sünder an“ (T: Erdmann Neumeister 1718; M: Johann Ulrich 1674).

Kommentar: "Das Himmelreich ist wie" oder "seit Gott sein Himmelreich aufgerichtet hat, gilt"... So beginnt die Parabel vom "Aufleben der Schuld und das Aufheben des Schuldenerlasses (Vom unbarmherzigen Knecht)" wie es bei Hanna Roose, 2007 heißt. Roose konstatiert dort ein "anstößiges Gottesbild" (455). Es wird ein unbarmherziger Gott beschrieben, dem ein ohnmächtiger Mensch (Sklave) gegenübersteht (In: Zimmermann: Kompendium der Gleichnisse Jesu. 445-460). 
Für mich gibt es lediglich einen wichtigen Augenblick im Ablauf der Parabel und das ist der Moment, als dem Sklaven die gesamte Schuld vergeben wird und er sich auf dem Rückweg in seine "eigene Welt" befindet (V27 und V28). Hier ergibt für mich die Metapher einen Sinn. Das Himmelreich ist dann volle Vergebung, die wir nur demütig empfangen können und gleichzeitig volle Entscheidungsfreiheit. Seit das Himmelreich gekommen ist, haben wir die freie Wahl, zu vergeben oder nicht. Dieses Motiv (volle Vergebung + Entscheidungsfreiheit) findet sich auch im Mt 6, 12 (Vaterunser: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern; LUT). Wir erleben jeden Tag, welche verheerenden Folgen es hat, nicht vergebungsbereit, vergebungsfähig oder vergebungswillig zu sein. Uns erwarten dann Konsequenzen, die in Gewissensbissen, in der Aufgabe der eigenen Menschlichkeit, die Solidarität und Nächstenliebe beinhaltet, und der Abkehr vom sich-ereigneten Himmelreich bestehen. So kann also eine fehlende Vergebungsbereitschaft, Vergebungsfähigkeit oder ein mangelnder Vergebungswille als größt möglicher Dieb angenommen werden.  

Freitag, 14. Oktober 2016

21. Sonntag nach Trinitatis; mit einem Kommentar über die Leitgedanken der NAK zum 16. Oktober 2016



Die geistliche Waffenrüstung (Kampf und Geist)


„Der 21. Sonntag nach Trinitatis wird von der Epistel her bestimmt. Es ist dort die Rede von der "Waffenrüstung Gottes" - Paulus vergleicht die Instrumente des Krieges mit denen des Glaubens. Dem ist das Evangelium von der Feindesliebe entgegengestellt - es handelt sich bei diesem Text allerdings nur um die Zusammenfassung der längeren Liste aus Epheser 6. Der alttestamentliche Text scheint nicht viel mit "geistlicher Waffenrüstung" zu tun zu haben, es sei denn, man betrachtet den Vers 7 als Hinweis auf die Waffe, mit der das jüdische Volk sich im Exil am Leben erhalten hat. Von einer Waffenrüstung zu reden - gleich ob geistlich oder nicht - trifft heute normalerweise auf Befremden. Diese Bilder gehören in eine extremistische Welt, nicht aber in die friedvolle Welt der Kirche. Dabei übersehen wir oft, dass es auch in der Kirche menschlich zugeht und auch dort Waffen benutzt werden - diese sind dann allerdings oft nicht die, von denen Paulus redet.
Die Rede Jesu von der Feindesliebe zeigt uns am 21. Sonntag nach Trinitatis, welche Waffen wir gegen unsere Feinde einsetzen können und sollen. Die Waffe der Liebe hat die Verheißung, dass Gott durch sie wirkt; darum können wir uns getrost auf sie verlassen, auch dann, wenn uns diese Waffe als wirkungslos erscheint (www.daskirchenjahr.de).

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir Ps 42:
Zweites Buch: Sehnsucht nach Gott
Wie der Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, ja, nach dem lebendigen Gott. Wann endlich werde ich ´wieder zum Heiligtum` kommen und dort vor Gottes Angesicht stehen? Tränen sind meine einzige Speise Tag und Nacht. Ständig fragt man mich: »Wo ist denn nun dein Gott?« Ich erinnere mich an frühere Zeiten, lasse meinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf: Wie schön war es doch, als ich mein Volk zu Gottes Heiligtum führte, begleitet von Jubel und Dank, im feierlichen Festzug mit vielen Menschen Warum bist du so bedrückt, meine Seele? Warum stöhnst du so verzweifelt? Warte nur zuversichtlich auf Gott! Denn ganz gewiss werde ich ihm noch dafür danken, dass er mir sein Angesicht wieder zuwendet und mir hilft. Mein Gott, tiefe Trauer bedrückt meine Seele. In der Ferne des Jordanlandes und des Hermongebirges denke ich an dich. Vom Berg Misar aus ´gehen meine Gedanken zu dir`. Gewaltige Wassermassen brausen und tosen, so als riefe eine Flut die andere herbei. Du hast sie geschickt; deine Wellen und Wogen rollen über mich hinweg. ´Und dennoch`:Am Tag wird der Herr mir seine Gnade schenken, und in der Nacht begleitet mich sein Lied, ein Gebet zu dem Gott meines Lebens. Zu Gott, meinem Fels, will ich sagen: »Warum nur hast du mich vergessen? Warum muss ich so traurig meinen Weg gehen, bedrängt von meinem Feind?« Der Hohn meiner Feinde zerfrisst mich wie eine tödliche Krankheit. Den ganzen Tag spotten sie: »Wo ist denn nun dein Gott?« Warum bist du so bedrückt, meine Seele? Warum stöhnst du so verzweifelt? Warte nur zuversichtlich auf Gott! Denn ganz gewiss werde ich ihm noch dafür danken, dass er mir sein Angesicht wieder zuwendet und mir hilft. Ja, er ist mein Gott. (NGÜ)

Die Evangeliumslesung für den heutigen Sonntag steht in Mt 5, 38-48:
... beim Gebot, nur maßvoll zu vergelten
»Ihr wisst, dass es heißt: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹ Ich aber sage euch: Verzichtet auf Gegenwehr, wenn euch jemand Böses tut! Mehr noch: Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte auch die linke hin. Wenn jemand mit dir um dein Hemd prozessieren will, dann gib ihm den Mantel dazu. Und wenn jemand dich zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh mit ihm zwei. Wenn jemand dich um etwas bittet, gib es ihm; wenn jemand etwas von dir borgen möchte, sag nicht nein.«
... beim Gebot, den Mitmenschen zu lieben
»Ihr wisst, dass es heißt: ›Liebe deinen Mitmenschen; hasse deinen Feind.‹ Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für alle, die euch verfolgen. So erweist ihr euch als Kinder eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne scheinen auf böse Menschen wie auf gute, und er lässt es regnen auf alle, ob sie ihn ehren oder verachten. Wie könnt ihr von Gott eine Belohnung erwarten, wenn ihr nur die liebt, die euch ebenfalls lieben? Das tun auch die Betrüger! Was ist denn schon Besonderes daran, wenn ihr nur zu euresgleichen freundlich seid? Das tun auch die, die Gott nicht kennen! Nein, wie die Liebe eures Vaters im Himmel, so soll auch eure Liebe sein: vollkommen und ungeteilt.« (GNB)

Die Leitgedanken der NAK für den 21. Sonntag noch Trinitatis tragen die Überschrift „Sonntag - Gemeinschaft mit dem Herrn“

Die Predigtgrundlage findet sich in „Ex 20, 8–10a: Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes.“ (LUT)

Begründet wird die Auswahl so: „Das dritte Gebot - „Du sollst den Feiertag heiligen“ - ist Schwerpunkt im Gottesdienst am 16. Oktober und spricht das Heiligen des Sonntags an. Wir heiligen ihn, indem wir Gott im Gottesdienst anbeten, Gemeinschaft mit Jesus Christus in Wort und Sakrament erfahren können und ein Bekenntnis zu Opfertod und Auferstehung Jesu ablegen“ (alle Zitate sind entnommen aus den o. g. Leitgedanken der NAK).

Zum heutigen Sonntag erklingt die Kantate: „Was Gott tut, das ist wohlgetan (BWV 98) von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Er komponierte sie 1726 in Leipzig für den 21. Sonntag nach Trinitatis und führte sie am 10. November 1726 erstmals auf.

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet: „Liebe, die du mich zum Bilde“ (T: Johann Scheffler 1657; M: Meiningen 1693).

Kommentar: "Beim Sabbat ist wie bei kaum einer anderen Institution die Identität von Religiösem und Sozialem unübersehbar gegeben. Als symbolische Realisierung der Befreiung durch den Exodus wie der Vorausnahme der kommenden Freiheit gehört er konstitutiv zur Identität des Gottesvolkes. Zudem sollte seine Bedeutung für den biblischen Gottesbegriff nicht unterschätzt werden. Dass Gott selbst von der Arbeit ruht, hält wie kein anderer der sog. Anthropomorphismen zeichenhaft die Differenz zu jedem philosophischen Gottesbegriff fest. Gerade der übliche Begriff göttlicher Allmacht wird so überwunden. Die Identität von Religiösem und Sozialem ist auf diese Weise zentral in der Gottesvorstellung selbst angesiedelt" (Crüsemann & Crüsemann, 2009, 493. Aus: Crüsemann (Hg.): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel. Stichwort: Sabbat, 490-493).


Erich Fried
Weltfremd
Wer denkt
daß die Feindesliebe
unpraktisch ist
der bedenkt nicht
die praktischen
Folgen
der Folgen
des Feindeshasses

Montag, 3. Oktober 2016

20 Sonntag nach Trinitatis; mit einem Kommentar über die Leitgedanken der NAK zum 09. Oktober 2016


Die Ordnungen Gottes (Gottes gutes Gebot)


„Der 20. Sonntag nach Trinitatis widmet sich der Frage nach dem Sinn von Ordnungen. Dabei werden auch die unumstößlichen Zusagen Gottes berücksichtigt, die uns den Rahmen geben, in dem wir uns bewegen können. Vom Evangelium her klingt deutlich die Prämisse durch: Der Mensch ist nicht um des Gesetzes willen, sondern das Gesetz um des Menschen willen gemacht.
Am 20. Sonntag nach Trinitatis hören wir das Evangelium von der Rede Jesu über die Ehe und Ehescheidung und erfahren, dass Gottes Ordnungen auch unseren persönlichen Lebensbereich durchdringen und zum Schutz allen Lebens eingesetzt sind. Diese Ordnungen werden von Jesus Christus bestätigt und erneut eingesetzt, und es ist gut, dass uns Gott auf diese Weise hilft, die Verantwortung anderen Menschen und der Kreatur gegenüber wahrzunehmen oder wir wenden uns der Frage zu, wie wir uns zu solchen Ordnungen stellen gerade angesichts der Freiheit, in die wir durch durch Christus gestellt sind. Haben die Ordnungen, so wie sie in der Bibel dargelegt sind, überhaupt noch eine Bedeutung? Oder sollten wir sie als gute Christen gerade besonders ernst nehmen? Gibt es für uns etwa eine neue Ordnung? Diesen Fragen wollen wir heute in Lied, Wort und Gebet nachgehen oder wir denken über unseren Lebensrahmen nach, über das, was wir tun und lassen sollen. Schon immer haben diese Ordnungen in Spannung gestanden zu dem Drang des Menschen, frei zu sein und seinen Lebensrahmen selbst zu bestimmen. Wie lässt sich das Leben so gestalten, dass Freiheit und Ordnung einander ergänzen und nicht einander ausschließen? Das wollen wir heute im Hören auf Gottes Wort, im gemeinsamen Gesang und Gebet bedenken“ (www.daskirchenjahr.de).

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir Ps 109:
Aber habe ich nicht recht? - Gott, mein Ruhm, schweige nicht
Lieber Gott, brich dein Schweigen. Es gibt Menschen, die sprühen Gift und Galle und reden mit doppelter Zunge. Sie verbreiten Gerüchte ohne jeden Grund. Und wenn ich dann noch nett zu ihnen bin, giften sie mich an. Deshalb rede ich mit dir. Warum ernte ich Böses für Gutes? Warum Hass für Liebe? Ich ertappe mich dabei, dass ich solchen Leuten genau das wünsche, was sie mir antun. Manchmal gehe ich noch einen Schritt weiter und wünsche mir, dass du an ihnen Rache übst. Ich merke dann, dass ich von mir aus denke: unbarmherzig und unnachgiebig. Das übertrage ich auf dich, weil ich selbst zu feige und zu klein bin. Aber habe ich nicht recht?: Wer den Segen nicht will, soll mit dem Fluch leben! Bei solchen Gedanken fühle ich mich elend. Ich bin dann nur noch ein Schatten meiner selbst. Aber ich will auch nicht zum Gespött anderer werden. So bitte ich dich: Bleib bei mir. Deine Antwort ist immer der Segen, deine ausgebreiteten Hände, die mich streicheln. Ich danke dir, ich danke dir (Ps. 109 nach Spangenberg, 2013).

Die Evangeliumslesung für den heutigen Sonntag steht in Mk 10, 2-9:
Über die Ehescheidung
Da kamen einige Pharisäer und versuchten, ihm eine Falle zu stellen. Sie fragten ihn: »Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau wegzuschicken?« Jesus antwortete mit der Gegenfrage: »Was hat Mose euch denn für eine Vorschrift gegeben?« Sie erwiderten: »Mose hat erlaubt, dass ein Mann seiner Frau eine Scheidungsurkunde ausstellen und sie dann wegschicken kann.« Da sagte Jesus: »Mose hat euch diese Vorschrift nur gegeben, weil ihr euer Herz gegen Gott verhärtet habt - und damit eure Hartherzigkeit ans Licht kommt. Gott hat am Anfang den Menschen als Mann und Frau geschaffen. Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Und was Gott zusammengefügt hat, das sollen Menschen nicht scheiden.« (GNB)

Die Leitgedanken der NAK für den 20. Sonntag noch Trinitatis tragen die Überschrift „Der Glaube an den einen Gott“

Die Predigtgrundlage findet sich in „Ex 20, 2-3: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ (LUT)

Begründet wird die Auswahl so: „In den folgenden Sonntagsgottesdiensten des Oktobers werden drei der Zehn Gebote thematisiert. 'Gebot' oder 'Gesetz' sind Übersetzungen eines hebräischen Wortes, das wörtlich 'Weisung' heißt; das Gesetz ist also Weisung Gottes. Das erste Gebot – 'Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben' - ist Grundlage zum Gottesdienst am 9. Oktober. Dem einen Gott zu dienen bedeutet auch, dem einen Gott zu vertrauen. Misslingt etwas oder ärgern wir uns, kommt manchmal ein 'Mein Gott!' oder Ähnliches über die Lippen. Meinen wir damit wirklich unseren Gott, den Allmächtigen, unseren Vater im Himmel“ (alle Zitate sind entnommen aus den o. g. Leitgedanken der NAK)?

Zum heutigen Sonntag erklingt die Kantate: „Schmücke dich, o liebe Seele (BWV 180) von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Die Kantate wurde für den 20. Sonntag nach Trinitatis komponiert und am 22. Oktober 1724 in Leipzig zum ersten Male aufgeführt.

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet: „Schmücke dich, o liebe Seele“ (T: Johann Franck 1644/1649/1653; M: Johann Crüger 1649).

Kommentar: Die Predigtgrundlage der GD der NAK wird in anderen Bibeln wie folgt übertragen:
JZÜ: "Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptengeführt hat, aus dem Hause der Knechtschaft. Du sollst anderen Göttern nicht dienen außer mir."
GSB: "Ich, ICH-BIN-DA, bin deine Gottheit, weil ich dich aus der Versklavung in Ägypten befreit habe. Neben mir soll es für dich keine anderen Gottheiten geben."

Gott ist für uns Menschen in Vorleistung gegangen und erwartet eine Antwort von uns. Die Antwort liegt in einer aktiven und freien Zuwendung oder Kommunikation. Mit dem Herausführen aus Unfreiheiten hat Gott uns erneut eine Beziehung angeboten und bittet um die Erwiderung dieser Beziehung (vergl. dazu Martin Buber: Ich und Du, 1995 und Marlene Crüsemann: Gott ist Beziehung, 2014). Er wirbt um Vertrauen. Dabei gibt er zu bedenken, dass wir Menschen seiner "ICH-BIN-DA" Zusage vertrauen sollen und nicht unser Vertrauen auf andere Menschen oder (Kirchen-) Fürsten setzen sollten (vergl. Ps 118, 8-9) oder gar auf materielle Güter (vergl. Mt 6, 24 oder Lk 16, 13). Der Theologe Ernst Lange hat bereits 1958 in seinem Buch "Die zehn großen Freiheiten" versucht, die Zehn Gebote nicht als Zwangsjacke, sondern als Orientierungshilfen für ein freies Leben zu interpretieren. Darin veröffentlichte er auch eine Fassung unter dem Titel "Du sollst frei sein" von Ernst Lange.
Du sollst frei sein,
das ist die heimliche Überschrift, die über allen Geboten steht. Hört man sie mit, dann fangen die Gebote an, ganz neu zu uns zu sprechen:
Du sollst frei sein
von allen Mächten, die sich zum Herrn über dich erheben wollen:
Sei es die Macht des Geldes, der öffentlichen Meinung oder der Angst, vor den Unabwägbarkeiten des Lebens. Ich bin der Herr, der die ganze Welt regiert.
Du sollst frei sein
von der Not, dich meiner Hilfe immer wieder angstvoll versichern zu müssen. "ICH BIN DA" ist mein Name, und das heißt: Ich will für dich da sein, wenn du mich brauchst.
Du sollst frei sein
von dem Alltagsgeschäft, das dir die Luft zum Atmen zu nehmen droht.
Ich schenke dir die Ruhe, die du brauchst, um wieder zu dir zu finden und zu erkennen, dass du aus meinen Händen kommst und von mir gehalten bist.
Du sollst frei sein
von der Unmündigkeit und ein Mensch werden, der verantwortlich ist und der die Sorge übernehmen kann für die Eltern, die nicht mehr selbst für sich sorgen können. Ich habe dich geschaffen, Liebe zu empfangen und Liebe zu geben.
Du sollst frei sein
von dem Zwang, dein Leben gegen andere erkämpfen zu müssen und dabei selbst deine Menschlichkeit zu verlieren. Ich habe alles Leben geschaffen, und ich will es schützen.
Du sollst frei sein
von der Jagd nach immer neuem Glück, die dich doch nicht glücklich macht.
Ich schenke dir die tragfähige Gemeinschaft mit einem Menschen, in der du Erfüllung findest.
Du sollst frei sein
von dem Druck, dich auf Kosten anderer bereichern zu müssen, sei es, indem du sie ausnutzt, sei es, indem du sie um ihr Eigentum bringst. Ich will dir genug von allem geben.
Du sollst frei sein
die Wahrheit zu sagen, wann immer es nötig ist - ohne Rücksichtnahme auf Dinge, die keine Rücksichtnahme verdienen. Ich selbst bin die Wahrheit, und wahrhaftig sind die Menschen, die zu mir gehören.
Du sollst frei sein
von der Eifersucht auf die Liebe, die anderen gilt. Ich schenke Dir Liebe genug für Dein ganzes Leben.
Du sollst frei sein
von dem Neid auf das, was anderen gehört. Ich will dir schenken, was Du zum Leben brauchst.

"Die Ehe ist in den antiken mediterranen Kulturen eine Verbindung zwischen zwei Familien. (...) Die eheliche Verbindung hat ökonomische, politische und verwandtschaftliche Aspekte. Vor allem aber geht es um die Verbindung der Ehre zweier Familien. War die Frau zuvor in die Ehre ihrer Herkunftsfamilie (repräsentiert durch den Patriarchen) eingebettet, so ist sie mit der Heirat in die Ehre der Familie des Ehemannes eingebettet. Nach gemeinsamer Auffassung der mediterranen Gesellschaften kann eine Ehefrau die Ehre ihres Ehemannes verletzen, dass heißt über ihn Schande bringen. Diese Entehrung geschieht in der Regel dann, wenn eine Ehefrau eine sexuelle Beziehung zu einem anderen Mann hat oder sich unzüchtig benimmt (Haare offen und aufgelöst tragen, nicht korrekt gekleidet sein). Die Auflösung einer Ehe wird so betrachtet zu einem hochkomplizierten sozialen Akt, die den zentralen Werte-Code 'Ehre und Schande' paradigmatisch berührt.
Jesus hat die Ehe als eine auf Lebensdauer angelegte neue Verwandtschaftsbindung verstanden, die im Schöpfungswillen Gottes intendiert ist: Die Schöpfung getrennter Geschlechter ist Basis eines in der Ehe neu entstandenen 'Körpers', nämlich einer neuen Familie. Wiederheirat nach Auflösung der Ehe ist Ehebruch, die größtmögliche Form der Ehrverletzung für einen Mann in der antiken mediterranen Kultur" (Stegemann, 2010, 286-288).
Offenbar sieht Jesus die Trennung des Menschen und ein "irgendwie wieder zusammenführen" des Menschen als Ehrverletzung dem Vater, dem Schöpfer gegenüber, an. Hier ist Jesus ganz dem antiken mediterranen Denken verhaftet und tief in dieser Kultur verwurzelt. Dem westlich aufgeklärten Denken ist diese Anschauung heute sehr fremd (vergleiche dazu auch: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, 2009, Stichwort: "Ehe", 91-96).