Sonntag, 26. Februar 2017

Invokavit - Kommentar zur Predigtgrundlage der NAK vom 05.03.2017

Bild: Rudi Witzke


Versuchung


Wochenspruch: 1 Joh 3, 8b:
„Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.“ (LUT)
„Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören.“ (EU)

Wochenpsalm: Psalm 91:
Unter Gottes Schutz
Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: / Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn er errettet dich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. Er wird dich mit seinen Fittichen decken, / und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor dem Pfeil, der des Tages fliegt, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt. Wenn auch tausend fallen zu deiner Seite / und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Ja, du wirst es mit eigenen Augen sehen und schauen, wie den Frevlern vergolten wird. Denn der HERR ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird sich deinem Hause nahen. Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Über Löwen und Ottern wirst du gehen und junge Löwen und Drachen niedertreten. »Er liebt mich, darum will ich ihn erretten; er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen. Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; / ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen. Ich will ihn sättigen mit langem Leben und will ihm zeigen mein Heil.« (LUT)

Die Predigtgrundlage der NAK vom 05.03.2017 ist aus „Kolosser 1, 21–23: Auch euch, die ihr einst fremd und feindlich gesinnt wart in bösen Werken, hat er nun versöhnt durch den Tod seines sterblichen Leibes, damit er euch heilig und untadelig und makellos vor sein Angesicht stelle; wenn ihr nur bleibt im Glauben, gegründet und fest, und nicht weicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt und das gepredigt ist allen Geschöpfen unter dem Himmel.“ (LUT1984)

Die Predigtgrundlage der NAK ist in den folgenden Kontext eingebettet: Kol 1, 15-23:
Christus, der Erste in Schöpfung und Auferweckung
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, auf dass er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz. Auch euch, die ihr einst Fremde wart und feindlich gesinnt in bösen Werken, hat er nun versöhnt durch seinen sterblichen Leib, durch seinen Tod, auf dass er euch heilig und makellos und untadelig vor sein Angesicht stelle; wenn ihr nur bleibt im Glauben, gegründet und fest, und nicht weicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt und das gepredigt ist allen Geschöpfen unter dem Himmel. Sein Diener bin ich, Paulus, geworden. (LUT)

Kommentar:
  • „Nach dem lateinischen Anfangswort der Introitusantiphon (Kehrvers zum Eröffnungsgesang; "Invocavit me, et ergo exaudiam eum" (Ps 91, 15; deutsch: Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören)) trägt der 1. Sonntag der Passionszeit (katholisch: 1. Fastensonntag) im evangelischen Raum den Namen Invokavit („Er hat mich angerufen“). Inhaltlich wird er durch das Evangelium vom vierzigtägigen Wüstenaufenthalt Jesu (Versuchung Jesu: Mt 4, 1-11). bestimmt.
  • Auch die neue katholische Lesordnung stellt den 1. Fastensonntag unter dieses Thema. Der Bezug zur Zeit der Vierzig Tage, zur Taufvorbereitung und zur Bußpraxis ist dabei deutlich gegeben“ (Bieritz, 2014, 194).
  • Die Auswahl der Predigtgrundlage in der NAK für diesen Sonntag wird wie folgt begründet: „‚Erkenntnis des Heils‘ lautet der Themenschwerpunkt im Monat März. In der Heiligen Schrift wird der Begriff ‚Heil‘ im Sinn von ‚Rettung‘, ‚Bewahrung‘ und ‚Erlösung‘ verwendet. (…) Mit dem Gottesdienst für die Entschlafenen am ersten Sonntag des Monats wird verdeutlicht, dass das Heilsangebot im Diesseits und im Jenseits gilt. Um erlöst zu werden, ist es unerlässlich, dass Lebende wie Entschlafene an die göttliche Heilszuwendung in Jesus Christus glauben, das Wort Gottes hören und die Sakramente der Kirche hinnehmen. Der Glaube ist notwendig für den Empfang der Sakramente und die Entfaltung der mit ihnen verbundenen Heilswirkung“ (zitiert aus den Leitgedanken zum Gottesdienst 3/17, 3).
Bei dem Kolosserbrief handelt es sich um eine sogen. Deuteropauline. Durchgängig tritt in diesen Schriften die paulinische Rechtfertigungslehre in den Hintergrund, während kirchenrechtliche und ethische Probleme in den Vordergrund rücken. Die ethischen Ermahnungen, denen die Textgrundlage entnommen worden ist (Kol 3, 1-17) haben Abkehr vom "alten Menschen" und Hinwendung zum "neuen Menschen" zum Thema und steht so in der Tradition der sogen. Bergpredigt (Mt. 5-7) und gleichnishafter Reden (s. o.). Vergleiche dazu ausführlich Bernhard Heininger: Die Rezeption des Paulus im ersten Jahrhundert. In: Wischmeyer, 2006, 309-340, inbs. 310-316). Die ausgewählte Textstelle passt sich also weder in den aktuellen Abschnitt des Kirchenjahres ein, noch erscheint sie passend zum Ende des Kirchenjahres und zu der in der NAK heute angesprochenen Ewigkeitsthematik. 

Zur theologischen Einordnung des Kol beziehe ich mich auf die BNÜ:
1. „Das Thema der Auseinandersetzung des Kol mit seinen Gegnern ist so etwas wie eine religiöse Subkultur nach Art der modernen Esoterik. Jenseits des Rationalen sind verschiedene Mächte der himmlischen Welt interessant. Die Zuwendung zu ihnen ist magisch, mystisch und kultisch: Magisch, das heißt nicht personhaft, sondern dinglich-automatisch. Mystisch heißt: Kontakt mit Personen des Himmels. Kultisch heißt: Der Weg läuft über Riten (Enthaltsamkeit, Zeiten). Der Kol antwortet mit seiner Christologie. Er gibt der himmlischen Welt eine streng hierarchische Ordnung.
2. Christen sind schon mit Christus auferstanden. Nichts, auch der Tod nicht, kann sie von Gott trennen.
3. Der Tod Jesu hat für die Christen absolut freien Zugang zu Gott hin bewirkt. Anrufungen von Engeln [oder Vermittlung durch kirchliche Autoritäten; MS] sind nicht mehr notwendig.
4. Die Versöhnungstat Jesu Christi bezieht sich nicht (zuerst) auf die Versöhnung von Menschen untereinander, sondern auf den Frieden mit Gott.
5. Der Gedankengang des Kol zwingt zu der Annahme, dass auch für den Verfasser Mächte und Gewalten nicht bedeutungslos sind.
6. Mit dem Ansatz "Christus das Haupt des Leibes" zeigt der Verfasser sein Interesse an Ordnungsstrukturen in der Schöpfung, in der Kirche und im christlichen Haus (Haustafeln; Kol 3). Die Ordnung, die das Haupt stiftet ist strukturell monarchisch und nicht pluralistisch. "Wurzeln für die Herausbildung neutestamentlicher Haustafeln liegen im hellenistisch-römischen Kulturkreis: politisch-ökonomische Lehrschriften über das wohlgeordnete Hauswesen, ethisch-philosophische Pflichtenkataloge, jüdisch-hellenistische Paränese. Bereits Aristoteles untersucht als „die ursprünglichen und kleinsten Teile des Hauses Herr und Sklave, Gatte und Gattin, Vater und Kinder“ (Polit. 1253b). Bei Aristoteles, Seneca (Ep. 94,1) und Pseudo-Phokylides (175-227) steht der freie Mann in seiner dreifachen Rolle als Ehemann, Vater und Herr (Besitzer) im Zentrum" (Das Bibellexikon: Stichwort: Haustafel. www.bibelwissenschaft.de).7. Die Haustafeln legen schon als Gattung den Schluß nahe: Für Kol geht es um das heilige Haus Gottes - dieses ist aber jetzt nicht mehr nur das himmlische Heiligtum, sondern dieses Haus ist die Gemeinde auf Erden.
8. Der Kol deutet den Tod Jesu als Versöhnung. Damit ist der Tod Jesu kein Opfer, auch kein Sühneopfer, sondern der Tod des Unschuldigen wird zum Akt der Stellvertretung für alle Schuldigen - Gott braucht keine Opfer!
9. Kol kennt keine apokalyptische Eschatologie, er kennt weder Auflösung oder Zerstörung des Kosmos noch Auferstehung der Toten am Ende.
10. Nicht alle Menschen generell sind schon Bild-Gottes. Jesus ist Bild Gottes. Wie oben bereits erwähnt tritt die paulinische Rechtfertigungs- und Gnadenlehre in den Hintergrund.
11. Die Christen sollen nun das, was ihrem Status entspricht, auch in ihrem Handeln wahrnehmen und wahrmachen. Es geht somit um die Konsequenzen aus dem neuen Sein. Es kommt nur darauf an, sich ganz auf diese Seite einzulassen.
12. Die alten Unterteilungen (z. B. Sklave / Freie) sind nicht beseitigt, aber sie sind nicht mehr trennend. Gottes Versöhnungstat hat die Grenzen zwischen Gott und Mensch beseitigt und die zwischen den Menschen ihrer feindseligen Wirkung beraubt. Wenn Frieden mit Gott ist, wieviel mehr erst unter den Menschen (siehe ausführlich BNÜ, Einleitung zum Kolosserbrief, 225-228).

Eine zusätzlich Interpretation von Kol findet sich hier: http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neues-testament/paulinische-briefe/kolosser/

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