Samstag, 28. Februar 2015

Reminiszere - Kommentar zu den LG vom 01. März 2015

Vorbemerkungen: An diesem Sonntag feiern die neuapostolischen Christen einen sogen. Gottesdienst für die Entschlafenen (zur Sonderlehre des sogen. "Entschlafenenwesen" siehe Funkschmidt, 2014, Neuapostolische Forschung zum Entschlafenenwesen und Müller-Bahr, 2014, Sakramentale Handlungen an Toten in der NAK. Beide in: Materialdienst der EZW, 11/2014, 414-416 und 416-427). Als liturgischer Höhepunkt werden in diesen Gottesdiensten in Anwesenheit eines Apostels an lebenden Menschen, in der Regel (höhere) Amtsträger der NAK, sakramentale Handlungen stellvertretend für die bereits Verstorbenen vollzogen. Es "empfangen zwei Amtsträger für die Verstorbenen die Heilige Wassertaufe, die Heilige Versiegelung und das Heilige Abendmahl" (zitiert aus: KNK, 2012, 423). Als biblische Grundlage hierfür gibt die NAK 1. Kor 15, 29 an: "Was soll es sonst, dass sich einige für die Toten taufen lassen? Wenn die Toten gar nicht auferstehen, was lassen sie sich dann für sie taufen" (LUT)?

Mit Bezug auf die o. g. Bibelstelle attestiert Klauck den Korinthern ein "verzerrtes Taufverständnis: Manche Gemeindemitglieder (...) lassen sich ein zweites Mal taufen, stellvertretend für einen heidnischen Verwandten oder Freund, der ungetauft verstorben ist. Ihm sollen die Wirkungen der Taufe, Geistverleihung, ewige Rettung, Unsterblichkeit nachträglich noch zugute kommen" (Klauck, 1 Kor. In: Die neue Echter Bibel. Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung, 115f).

Die Taufe für die Toten "lässt auf ein magisches Verständnis der Taufe schließen, das Paulus nicht teilt (vergl. 1 Kor 10, 1-5)." Paulus greift an dieser Stelle offenbar nicht strenger ein, um die noch junge "Auferstehungshoffnung" (der Korinther) nicht zu verunsichern, die die Totenauferstehung eigentlich ablehnten (ELB, 1524). Vergl. dazu auch: Wischmeyer, Paulus, 2006, 157f.

Einleitung: „Im ersten Gottesdienst des Monats März, dem Entschlafenengottesdienst, kommt unter anderem zur Sprache, dass das Apostelamt im Auftrag Jesu Christi die Versöhnung des Menschen mit Gott predigt. Die Heilsmittel dazu hat Jesus Christus gegeben. Er hat den Weg zur Versöhnung freigemacht. Die Verwaltung der Heilsmittel für Lebende und Tote hat Jesus in die Verantwortung der Apostel gelegt. In diesem Auftrag werden sie auch im Entschlafenengottesdienst tätig. Neben der Hinnahme der Heilsmittel zur Erlangung der Erlösung bleibt die Versöhnung mit Gott aber auch eine tägliche Aufgabe. Es kommt vor, dass wir uns gegenüber Gott erheben oder ihn gar für die Mühsal unseres Lebens verantwortlich machen. In unserer menschlichen Schwachheit klagen wir dann Gott an und machen ihm Vorwürfe. Auch dann gilt es, sich mit Gott versöhnen zu lassen, indem wir wieder in der Gottesfurcht und im angemessenen Gotteslob offenbar werden.
Gottesfurcht und Gotteslob beruhen auf Dankbarkeit gegenüber dem Allmächtigen. Die Dankbarkeit wird in den folgenden Gottesdiensten näher beleuchtet.“

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: „Versöhnung mit Gott.“

Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK ist „2 Kor 5,20: So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott“ (LUT)!

Als Kernbotschaft wird folgendes formuliert: „Die Apostel rufen Lebende und Tote dazu auf, sich mit Gott versöhnen zu lassen.“

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „2 Kor 5,18-21 spricht vom Versöhnungshandeln Gottes. Gott versöhnte die Welt mit sich durch den Opfertod Jesu Christi. Die Apostel haben den Auftrag erhalten, von dieser Versöhnung zu sprechen und die Menschen aufzurufen, sie anzunehmen. Der 2 Kor enthält wesentliche Aussagen zum Verständnis des Apostelamtes (KNK 7.4.1).“

Schließlich werden die LG so zusammengefasst:
„Jesus ist für die Menschen – gute und böse – gestorben, weil er sie mit Gott versöhnen wollte.
  • Gottes Heilsangebot richtet sich an die Menschen im Diesseits und im Jenseits. Es kann nur im Glauben angenommen werden.
  • Dieser Glaube zeigt sich im Vertrauen auf Gott, in der Versöhnungsbereitschaft und in der Sehnsucht nach dem Tag des Herrn“ (alle Zitate aus den o. g. LG).

Kommentar: Die Predigtgrundlage gilt als eine biblische Grundlage für die Herleitung des Selbstverständnisses der Apostel in der NAK (KNK, 7, 285ff). Der 2. Korintherbrief kann als ein „großes biographisches Zeugnis“ des Apostels Paulus angesehen werden: „Der 2 Kor enthält die umfassendsten Selbstaussagen des Paulus zu seinem Selbstverständnis als Apostel und Person, so z. B. auch zu seiner Krankheit. Die daraus abgeleitete ‚Schwachheitstheologie‘ in Hinsicht auf das Apostolat (2 Kor 11,30; 12,9) korrespondiert mit der in 1 Kor 1,18ff formulierten ‚Kreuzestheologie.‘ Paulus stellt also sein apostolisches Selbstverständnis in expliziten Bezug zur Christologie (vergl. 2 Kor 4,7ff). Biographie und Theologie bzw. Autobiographie und apostolisches Selbstverständnis einerseits und Christologie andererseits bilden einen gegenseitigen Deutungshorizont“ (Eve-Marie Becker, 2 Kor, 188. In: Wischmeyer, 2006). Eine Übertragung dieses autobiographisch geprägten Selbstverständnisses des Paulus in das 21. Jh. erscheint dadurch nicht so einfach möglich.

„Paulus meint, dass eine enge Beziehung zwischen ihm, der Gemeinde und denen, die mit ihm zusammenarbeiten, das Medium der sie alle tragenden Beziehung zu Gott ist. Er sieht sich berufen, allen Menschen die Versöhnungsbereitschaft von der rettenden Nähe Gottes zu vermitteln, die Gott ihnen mit dem Messias Jesus schenkt. Da die Gemeinde eine selbstständige Partnerin ist, ist ihr Ja zu ihm entscheidend für die Wirksamkeit seiner Arbeit“ (GSB, Einleitung zu 2 Kor, 2131f). In 2 Kor 5,1ff führt Paulus die Funktion des apostolischen Amtes im Blick auf den Inhalt der Verkündigung, die Bedrängnis der christlichen Existenz und deren eschatologische Perspektive aus.

Eine alternative Interpretation der Leidens- und Kreuzestheologie und dem damit verbundenen Verständnis von „Versöhnung mit Gott“ bietet Kroeger, 2005, 140ff an: „Gerecht vor Gott - passend zum Grundgesetzt des Lebens - sind wir (…) wenn wir uns unser Leben von ihm (Gott) schenken lassen. (…) Das gnädige Schenken und Wirken der göttlichen Urmacht, der wir primär im Glauben und Empfangen, nicht im Tun entsprechen und ‚gerecht‘ werden. Ein solcher Gott braucht kein Opfer und keine Versöhnung; er schickte ja selber seinen Sohn, um den Menschen zu helfen und er musste in seiner Gerechtigkeit, die primär nichts fordert, sondern nur schenkt, nicht versöhnt werden“ (147).


An diesem Sonntag, dem 01. März 2015, feiern wird den Sonntag Reminiszere - „Du siehst es doch, denn du schaust das Elend und den Jammer; es steht in deinen Händen.“

„Der Name des Sonntags Reminiszere leitet sich vom Beginn der lateinischen Antiphon ab: 'Reminiscere miserationum tuarum, Domine, et misericordiarum tuarum quae e saeculo sunt' ('Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind'; Ps 25, 6).

Der Sonntag Reminiszere hat das Gleichnis von den bösen Weingärtnern zum Thema (vergl. www.daskirchenjahr.de).

Kantaten von Johann Sebastian Bach (1685-1790) zum Kirchensonntag:
„Wo soll ich fliehen hin“ (BWV 5).                         


Der Wochenpsalm in der fortlaufenden Bibellese ist Ps 10:
„Herr, hilf uns gegen Unrecht und Gewalt!
Warum, Herr, bist du so fern, warum verbirgst du dich in Zeiten der Not? Hochmütige Menschen, die Gott ablehnen, verfolgen die Wehrlosen und bringen sie durch ihre Intrigen zu Fall. Diese Gottlosen prahlen auch noch damit, dass ihre Gier keine Grenzen kennt. In ihrer Habsucht verspotten sie den Herrn und verachten ihn. Stolz behaupten sie: »Gott kümmert sich sowieso nicht um das, was wir tun! Es gibt ja gar keinen Gott!« Weiter reichen ihre Gedanken nicht. Dennoch führt ihr Weg sie stets zum Erfolg. Unendlich fern liegt ihnen der Gedanke, dass du sie einmal zur Rechenschaft ziehen könntest. Sie pfeifen auf jeden, der sich ihnen in den Weg stellt. Sie reden sich ein: »Uns bringt nichts zu Fall, kein Unglück wird uns jemals treffen, auch nicht in künftigen Generationen.« Wenn sie fluchen, betrügen und erpressen, sind sie um Worte nicht verlegen; was sie von sich geben, bringt anderen Unheil und Schaden. Dort, wo ihre Opfer wohnen, legen sie sich in den Hinterhalt; wo niemand es sieht, bringen sie den Unschuldigen um. Ihre Augen spähen nach Menschen, die sich nicht wehren können. Sie liegen auf der Lauer wie Löwen im Dickicht, aus dem Hinterhalt fallen sie über ihr Opfer her und fangen es in ihrem Netz. Sie halten sich versteckt, sind auf dem Sprung, und schon geht ein Wehrloser unter ihren Pranken zu Boden. Sie reden sich ein: »Gott hat alles sowieso schon vergessen, er hat sich abgewandt und sieht nie wieder hin.« Steh auf, Herr! Gott, erhebe deine ´mächtige` Hand! Vergiss die nicht, die erlittenes Unrecht geduldig ertragen! Warum dürfen diese Gottlosen Gott verachten und sich einreden, dass du dich sowieso um nichts kümmerst? Du hast doch alles genau gesehen! Du achtest doch darauf, ob jemand Not leidet oder Kummer hat, und nimmst das Schicksal dieser Menschen in deine Hände! Die Armen und die Verwaisten dürfen dir ihre Anliegen anvertrauen, denn du bist ihr Helfer. Zerbrich die Macht dieser gottlosen und boshaften Menschen, zieh sie zur Rechenschaft dafür, dass sie sich dir widersetzen! Keiner von ihnen soll mehr zu finden sein! Der Herr ist König für immer und ewig. Einst werden alle Völker, die ihn missachten, aus seinem Land verschwunden sein. Du hast die Wünsche derer gehört, die erlittenes Unrecht geduldig ertragen, Herr; aufmerksam hast du dich ihnen zugewandt und ihr Herz wieder stark gemacht. Du wirst den Verwaisten und den Unterdrückten zu ihrem Recht verhelfen. Du wirst nicht zulassen, dass Menschen auf der Erde Angst und Schrecken verbreiten“ (NGÜ).

Die Epistel steht im Rö 5,1-11.

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich bei Mk 12,1-12:
Das Gleichnis von den bösen Weinbergspächtern
Dann wandte sich Jesus mit einem Gleichnis an sie. Er sagte: »Ein Mann legte einen Weinberg an, machte einen Zaun darum, baute eine Weinpresse und errichtete einen Wachtturm. Dann verpachtete er den Weinberg und verreiste. Zur gegebenen Zeit schickte er einen Boten zu den Pächtern, um seinen Anteil am Ertrag des Weinbergs abholen zu lassen. Die Pächter aber verprügelten den Boten und ließen ihn unverrichteter Dinge abziehen. Der Besitzer schickte einen zweiten, dem schlugen sie den Kopf blutig und behandelten ihn auf die schimpflichste Weise. Da schickte er einen weiteren Boten. Den brachten sie sogar um. Und so machten sie es noch mit vielen anderen, die er schickte: Die einen wurden misshandelt, die anderen umgebracht. Schließlich blieb ihm nur noch sein eigener Sohn, dem seine ganze Liebe galt. Den schickte er zu den Pächtern, weil er sich sagte: ›Vor meinem Sohn werden sie Respekt haben.‹ Aber die Pächter sagten zueinander: ›Das ist der Erbe! Wir bringen ihn um, dann gehört seine Erbschaft, der Weinberg, uns!‹ So töteten sie ihn und warfen die Leiche aus dem Weinberg hinaus. Was wird nun der Besitzer des Weinbergs tun? Er wird selbst kommen, die Pächter töten und den Weinberg anderen anvertrauen. Ihr kennt ja wohl die Stelle in den Heiligen Schriften, wo es heißt: ›Der Stein, den die Bauleute als wertlos weggeworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Der Herr hat dieses Wunder vollbracht, und wir haben es gesehen.‹« Die führenden Priester, die Gesetzeslehrer und die Ratsältesten hätten Jesus gerne festgenommen; denn sie merkten, dass das Gleichnis auf sie gemünzt war. Aber sie hatten Angst vor der Menge. So ließen sie ihn unbehelligt und gingen weg“ (GNB).

Kommentar: Oft werden Gleichnisse allegorisch verstanden und interpretiert. Allegorien haben den Sinn, die 2000-jährige Distanz zwischen dem Erzählten und unserer aktuellen Lebenswirklichkeit zu überbrücken. Jedoch ist die allegorische Deutung einer Parabel kein ursprünglicher Teil der Jesusüberlieferung, sondern entspricht eher einer Jahrhunderte alten christlichen Deutungspraxis (vergl. dazu ausführlich Jeremias, J, Die Gleichnisse Jesu, 11. Aufl., 1996, 47ff). Drewermann (vergl. Drewermann, E, Wenn der Himmel die Erde berührt, 2004, 66ff) z. B. tauscht in seiner allegorischen Deutung die Synagoge gegen die Kirche und die Juden gegen die Christen aus. Dies ist sein Versuch, die Parabel "in unsere Tage hinein sprechen zu lassen" (74). Gott wird als der Besitzer des Weinberges angesehen und die Gemeinde, "die Gemeinschaft der Heiligen", als der Weinberg verstanden. Die bösen Winzer sind dann die Bischöfe, Apostel, Pfarrer, Pastoren, Priester etc., die sich hinter Bestimmungen verstecken und an Festlegungen klammern und den Menschen nicht mehr zuhören und ihre Nöte nicht mehr sehen, vor lauter Wissen, was katholisch, evangelisch, neuapostolisch etc. ist, die die Lehre verinnerlicht haben, ohne sie jedoch zu leben (zum Unterschied zwischen "Besitzen" und "Leben" vergl. Fromm, E, Haben oder Sein, 1997).

In einer (tiefen-) psychologischen Allegorie wird der Weinberg als die Seele verstanden (Gott bleibt der Besitzer des Weinberges, gleichsam der Ausgangsort der Seele) und die "bösen Winzer" sind wir selber mit unserer Angst, Dinge falsch zu machen, anzuecken, als unvernünftig angesehen zu werden. "Hoffen möchte man, (...) dass wir unseren Träumen glauben, (...), unserer tieferen Berufung Folge leisten, der Kraft des inneren Gefühls, unserer eigenen Gedanken, der Stimme im Verborgenen, in unserem eigenen Ich Raum geben, und dass es uns trägt wie der aufsteigende Saft in den Reben im Weinberg. (...) (Denn) am Ende wird die Frage sein, wie viel fruchtbar war, wie viel sich vollendet hat, wie viel Süßigkeit des Lebens weitergegeben wurde. Denn unser Leben ist bestimmt zur Freude, zur Schönheit und zum Glück" (71).

Oldenhage schlägt vor, dass sich heutige Hörer auf einen "metaphorischen Prozess" einlassen könnten. So kann z. B. die Anhäufung physischer Gewalt in der Parabel dazu genutzt werden, sich Erfahrungen von eigenen und gesellschaftlichen Katastrophen, Verzweiflungen, Tod, Leiden, Schuld und Hass zu vergegenwärtigen (vergl. dazu Tania Oldenhage: Spiralen der Gewalt - Die bösen Winzer. In: Zimmermann, 2007, 352ff).

Alt eröffnet schließlich einen (friedens-) politischen Deutungshorizont mit der Frage, wie man der "Spirale der Gewalt" entkommen kann (Alt, F, Frieden ist möglich, 1983).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen