Samstag, 20. Februar 2016

Reminiszere; mit einem Kommentar zu den Leitgedanken der NAK vom 21. Februar 2016



Den Menschen ausgeliefert (Streit um Jesus)


Heute ist der 2. Sonntag der Passionszeit - Reminiszere. Der Name des Sonntags Reminiszere leitet sich vom Beginn der lateinischen Antiphon ab: "Reminiscere miserationum tuarum, Domine, et misericordiarum tuarum quae e saeculo sunt" (Ps 25, 6: „Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.“).

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir den Psalm 123:
Sehnsucht nach Gottes Eingreifen
Zu dir, der du im Himmel thronst, richte ich meinen Blick empor. Ja, wie die Augen der Knechte auf den Wink ihres Herrn warten und die Augen der Magd auf ein Handzeichen ihrer Herrin, so richten wir unsere Augen auf den Herrn, unseren Gott, bis er uns Gnade erweist. Sei uns allen gnädig, Herr, sei uns gnädig! Denn wir haben mehr als genug Verachtung erfahren müssen. Aus tiefster Seele haben wir es satt, den Hohn der Stolzen und den Spott der Selbstherrlichen zu ertragen. (NGÜ)

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich in Mk 12, 1-12
Das Gleichnis von den bösen Weinbergspächtern
Dann wandte sich Jesus mit einem Gleichnis an sie. Er sagte: »Ein Mann legte einen Weinberg an, machte einen Zaun darum, baute eine Weinpresse und errichtete einen Wachtturm. Dann verpachtete er den Weinberg und verreiste. Zur gegebenen Zeit schickte er einen Boten zu den Pächtern, um seinen Anteil am Ertrag des Weinbergs abholen zu lassen. Die Pächter aber verprügelten den Boten und ließen ihn unverrichteter Dinge abziehen. Der Besitzer schickte einen zweiten, dem schlugen sie den Kopf blutig und behandelten ihn auf die schimpflichste Weise. Da schickte er einen weiteren Boten. Den brachten sie sogar um. Und so machten sie es noch mit vielen anderen, die er schickte: Die einen wurden misshandelt, die anderen umgebracht. Schließlich blieb ihm nur noch sein eigener Sohn, dem seine ganze Liebe galt. Den schickte er zu den Pächtern, weil er sich sagte: ›Vor meinem Sohn werden sie Respekt haben.‹ Aber die Pächter sagten zueinander: ›Das ist der Erbe! Wir bringen ihn um, dann gehört seine Erbschaft, der Weinberg, uns!‹ So töteten sie ihn und warfen die Leiche aus dem Weinberg hinaus. Was wird nun der Besitzer des Weinbergs tun? Er wird selbst kommen, die Pächter töten und den Weinberg anderen anvertrauen. Ihr kennt ja wohl die Stelle in den Heiligen Schriften, wo es heißt: ›Der Stein, den die Bauleute als wertlos weggeworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Der Herr hat dieses Wunder vollbracht, und wir haben es gesehen.‹« Die führenden Priester, die Gesetzeslehrer und die Ratsältesten hätten Jesus gerne festgenommen; denn sie merkten, dass das Gleichnis auf sie gemünzt war. Aber sie hatten Angst vor der Menge. So ließen sie ihn unbehelligt und gingen weg. (GNB)

Demgegenüber ist die Lesung und die Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK an diesem Sonntag aus „Mt 7, 9-10: „Wer ist unter euch Menschen, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete? Oder, wenn er ihn bittet um einen Fisch, eine Schlange biete?“ (LUT)

Begründung: "Am 3. Sonntag im Februar, der die Überschrift "Gott schenkt das Gute" trägt, „geht es ebenfalls um die Fürsorge Gottes, der alleine wahrhaft Gutes und Vollkommenes schenken kann. In unseren Gebeten wollen wir ihn immer wieder um diese Gaben bitten. Wir wollen - so beschenkt - auch ein Segen für unseren Nächsten sein“ (zitiert aus den o. g. Leitgedanken der NAK).

Für den Sonntag Reminiszere ist keine Bachkantate (Johann Sebastian Bach 1685-1750) vorgesehen.

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet: Halt im Gedächtnis Jesus Christus (T: Cyriakus Günther ( vor 1704) 1714; M: Johann Walter 1524)

Kommentar: Oft werden Gleichnisse allegorisch verstanden und interpretiert. Allegorien haben den Sinn, die 2000-jährige Distanz zwischen dem Erzählten und unserer aktuellen Lebenswirklichkeit zu überbrücken. Jedoch ist die allegorische Deutung einer Parabel kein ursprünglicher Teil der Jesusüberlieferung, sondern entspricht eher einer Jahrhunderte alten christlichen Deutungspraxis (vergl. dazu ausführlich Jeremias, J, Die Gleichnisse Jesu, 11. Aufl., 1996, 47ff). Drewermann (vergl. Drewermann, E, Wenn der Himmel die Erde berührt, 2004, 66ff) z. B. tauscht in seiner allegorischen Deutung die Synagoge gegen die Kirche und die Juden gegen die Christen aus. Dies ist sein Versuch, die Parabel "in unsere Tage hinein sprechen zu lassen" (74). Gott wird als der Besitzer des Weinberges angesehen und die Gemeinde, "die Gemeinschaft der Heiligen", als der Weinberg verstanden. Die bösen Winzer sind dann die Bischöfe, Apostel, Pfarrer, Pastoren, Priester etc., die sich hinter Bestimmungen verstecken und an Festlegungen klammern und den Menschen nicht mehr zuhören und ihre Nöte nicht mehr sehen, vor lauter Wissen, was katholisch, evangelisch, neuapostolisch etc. ist, die die Lehre verinnerlicht haben, ohne sie jedoch zu leben (zum Unterschied zwischen "Besitzen" und "Leben" vergl. Fromm, E, Haben oder Sein, 1997).
In einer (tiefen-) psychologischen Allegorie wird der Weinberg als die Seele verstanden (Gott bleibt der Besitzer des Weinberges, gleichsam der Ausgangsort der Seele) und die "bösen Winzer" sind wir selber mit unserer Angst, Dinge falsch zu machen, anzuecken, als unvernünftig angesehen zu werden. "Hoffen möchte man, (...) dass wir unseren Träumen glauben, (...), unserer tieferen Berufung Folge leisten, der Kraft des inneren Gefühls, unserer eigenen Gedanken, der Stimme im Verborgenen, in unserem eigenen Ich Raum geben, und dass es uns trägt wie der aufsteigende Saft in den Reben im Weinberg. (...) (Denn) am Ende wird die Frage sein, wie viel fruchtbar war, wie viel sich vollendet hat, wie viel Süßigkeit des Lebens weitergegeben wurde. Denn unser Leben ist bestimmt zur Freude, zur Schönheit und zum Glück" (71).

Aufrecht!
Manchmal sagen wir: Er oder sie hat den aufrechten Gang gelernt. Nicht nur im körperlichen Sinn, wenn nach einer orthopädischen Behandlung oder Übung man wieder „gerade geht“, sondern auch von Menschen, die sich „geduckt“ haben, ihre Meinung aus Angst vor Nachteilen nicht offen sagten, oder auf verschlungenem Weg ihren Vorteil suchten. Am Ende unseres Psalms wird deutlich, dass Menschen auch von außen „geduckt“ und „gekrümmt“ werden können: „wir haben mehr als genug Verachtung erfahren müssen (V. 3). Heute würde man sagen: Viele gibt es, die Mobbingerfahrungen machen und nicht so recht weiter wissen. Der Psalm lehrt den aufrechten Gang und damit eine Horizonterweiterung, die zu neuen Lebensperspektiven führt: „Zu dir, der du im Himmel thronst, richte ich meinen Blick empor (V. 1).
Statt Niedergeschlagenheit den Kopf heben, aufrecht werden, weil Gott uns in seiner Gnade würdig macht. Menschenwürde schenkt und Gott, deshalb sehen wir, ob Menschen würdig behandelt werden oder krumm gehalten werden sollen. Gottes Gnade befreit uns von inneren Lasten, die uns niederdrücken, und will uns ermutigen, äußere Lasten abzubauen.
Wir sollen unsere Augen auf Gott richten, damit wir einander wieder in die Augen schauen können. Damit Menschen auf Augenhöhe miteinander umgehen können. Damit Menschen einander wahrnehmen können. Aufrechter Gang. Gott ermöglicht es uns. Immer wieder auf’s Neue. Auch dann, wenn wir meinen den Blickkontakt verloren zu haben. Er schaut uns an. Und wir ihn. Und lernen Gnade.
Was kann es besseres und aufrechteres geben?
Frank Otfried July

Entnommen aus: Mit der Bibel durch das Jahr. Ökumenische Bibelauslegungen 2016 für Sonntag, den 21. Februar. Herausgegeben von Franz-Josef Bode u. a.

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