Samstag, 13. Februar 2016

Aschermittwoch - Kommentar zu einem Gottesdienst der NAK am 10.02.2016


Der Weg zum Kreuz


Einleitung: "Der Name dieses Tages ("Aschermittwoch") entstand dadurch, dass sich die Menschen zum Zeichen der Buße Asche auf ihre Häupter streuten. In der römischen Kirche werden die Gemeindeglieder auch heute noch mit dem Aschekreuz gezeichnet. Asche erinnert an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Öffentliche Büßer wurden früher in der gallischen Kirche am Aschermittwoch aus der Kirche vertrieben (Vertreibung aus dem Paradies) und wurden durch ein Büßergewand und Asche deutlich kenntlich gemacht.In der protestantischen Kirche wird Asche nicht verwendet, weil zu dem Zeitpunkt der Reformation alle Handlungen zum Aschermittwoch und in der Fastenzeit derart materialisiert worden waren, dass darin kein geistlicher Gehalt mehr zu erkennen war. Darum wandte sich die Reformation zunächst ganz von der gottesdienstlichen und rituellen Begehung des Aschermittwoch ab. Inzwischen hat man erkannt, dass eine Fastenzeit durchaus auch evangelisch sein kann. Gott ermahnt uns zu einem Fasten, das die Not der Armen und Unterdrückten lindert und das Gerechtigkeit und Frieden hervorbringt bzw. fördert. Es ist also durchaus nicht das leibliche Fasten damit gemeint. Auf dieser Ebene ist es aber möglich, den Aschermittwoch wieder ernster zu nehmen und diesen Feiertag auch in protestantischen Kirchen gottesdienstlich zu begehen. Welche Riten dabei wieder aufgenommen werden können, ergibt sich aus dem Schwerpunkt des Gottesdienstes. Der Aschermittwoch führt das Thema des Sonntags Estomihi fort. Allerdings wird hier jetzt zu Beginn der Fastenzeit das Evangelium aus der Bergpredigt zum Fasten gewählt, d.h. also der Einstieg in die Fastenzeit wird hiermit vollzogen. Der Schwerpunkt liegt auf der "rechten Frömmigkeit", d.h. auf dem, was Gott von uns will.

Am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit, eine Zeit, in der wir zur Buße gerufen werden. Wir sollen umkehren, und dies geschieht nicht nur äußerlich; auch unser Herz bewegt und verändert sich. Die Hinwendung zu Gott macht uns zu einer echten Liebe zu unseren Mitmenschen fähig" (www.daskirchenjahr.de).

Am Aschermittwoch besuchte ich einen Gottesdienst der Neuapostolischen Kirche (Gemeinde Holstein Eutin; Unterbezirk Kiel, Apostelbereich Falk). Die Predigt wurde von Apostel Uli Falk gehalten. Die Predigtgrundlage war der Ps 9, 11: "Darum hoffen auf dich, die deinen Namen kennen; denn du verlässest nicht, die dich, HERR, suchen."

Der gesamte Psalm 9 lautet:
Der Herr spricht ein gerechtes Urteil
Dich, Herr, will ich loben von ganzem Herzen, von all deinen Wundern will ich erzählen. Über dich will ich mich freuen und jubeln, zur Ehre deines Namens ein Lied singen, du Höchster! Denn jetzt treten meine Feinde den Rückzug an, dein zorniger Blick wirft sie zu Boden und lässt sie umkommen. Du hast für meine Gerechtigkeit gesorgt und mir zu meinem Recht verholfen. Du hast dich auf den Richterstuhl gesetzt und gerecht geurteilt. Du hast ganze Völker in ihre Schranken verwiesen, die Gottlosen hast du umkommen lassen und ihre Namen für immer und ewig ausgelöscht. Der Feind ist völlig vernichtet, seine Macht für immer zerschlagen. Du hast seine Städte dem Erdboden gleichgemacht; nichts erinnert mehr an sie. Der Herr aber regiert für immer und ewig, er hat seinen Thron zum Gericht aufgestellt. Er selbst wird die Welt in Gerechtigkeit richten, wird den Völkern ein aufrichtiges und gerechtes Urteil sprechen. Den Unterdrückten gewährt der Herr seinen Schutz, in Zeiten der Not ist er für sie eine Burg in sicherer Höhe.  Auf dich, Herr, werden alle vertrauen, die dich und deinen Namen kennen, denn wer deine Nähe sucht, den lässt du nie allein. Singt dem Herrn, der auf dem Berg Zion wohnt, eure Lieder, verkündet unter allen Völkern seine großen Taten! Denn er zieht all die zur Rechenschaft, die Blut vergießen, er kümmert sich um die Verfolgten und überhört nicht die Schreie der Unterdrückten. Sei mir gnädig, Herr, sieh auch meine Not, in die mich der Hass meiner Feinde bringt, hol mich herauf aus dem Totenreich. Dann will ich deinen Ruhm verbreiten in den Toren der Stadt Zion, jubeln will ich über deine Rettung. Da sind Völker in die Gruben gestürzt, die sie für andere gegraben hatten, sie sind mit ihren Füßen im eigenen Fangnetz hängen geblieben. Der Herr hat sich zu erkennen gegeben, indem er Gericht übte: Wer Gott ablehnt, der verstrickt sich in seinen eigenen Machenschaften. Mögen alle Gottlosen im Totenreich enden, alle die Völker, denen Gott gleichgültig ist! Der Unterdrückte aber ist nicht für immer vergessen, und die vom Leid gebeugt sind, müssen ihre Hoffnung nicht aufgeben. Erhebe dich, Herr, lass nicht zu, dass Menschen sich dir widersetzen! Lass alle Völker vor dich treten und zieh sie zur Rechenschaft Versetze sie in Schrecken, Herr, lass alle Völker begreifen, dass sie nur Menschen sind! (NGÜ)

Eine (angedeutete) Evangeliumslesung war die Parabel von der Frau aus Syrophönizien aus Mk 7, 24-29: Und er stand auf und ging von dort in das Gebiet von Tyrus. Und er ging in ein Haus und wollte es niemanden wissen lassen und konnte doch nicht verborgen bleiben, sondern alsbald hörte eine Frau von ihm, deren Töchterlein einen unreinen Geist hatte. Und sie kam und fiel nieder zu seinen Füßen - die Frau war aber eine Griechin aus Syrophönizien - und bat ihn, dass er den bösen Geist von ihrer Tochter austreibe. Jesus aber sprach zu ihr: Lass zuvor die Kinder satt werden; es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot wegnehme und werfe es vor die Hunde. Sie antwortete aber und sprach zu ihm: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde unter dem Tisch von den Brosamen der Kinder. Und er sprach zu ihr: Um dieses Wortes willen geh hin, der böse Geist ist von deiner Tochter ausgefahren. Und sie ging hin in ihr Haus und fand das Kind auf dem Bett liegen, und der böse Geist war ausgefahren. (GNB)

Kommentar: "Die Parabel ist heilsuniversalistisch auszulegen. Sie bestimmt als 'Sitz im Leben' die urchristliche Debatte, ob Nichtjuden am Heil Israels beteiligt werden können. Diese Normenwundergeschichte zählt zu den frühen Versuchen, den auf Israel konzentrierten urchristlichen Heilspartikularismus durch einen den Rang Israels nicht betreitenden, aber im Blick auf Gottes freie Gnade und Barmherzigkeit relativierenden Heilsuniversalismus zu verändern" (Ulrich Mell: Das Brot der Hunde (Von Kindern und Hunden), 351. In: Zimmermann (2006), 347-351).

Es gilt nach wie vor, dass Gott sein Volk (die Juden) nicht verstoßen hat, sie wird vielmehr von Paulus als "heilige Erstlingsgabe" und "heilige Wurzel" (des Christentums) bezeichnet (Rö 11, 1-16). Darum ist es absurd, dass die christlichen Kirchen heute im Streit darüber sind, wer "das auserwählte Volk" oder "das Volk Gottes" oder "die Braut Christi" oder die "allein seligmachende Kirche" sei. Die Antwort hat Paulus bereits gegeben: die Juden; denn die Zweige können nicht zur Wurzel werden.

"Am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit, eine Zeit, in der wir zur Buße gerufen werden. Wir sollen umkehren, und dies geschieht nicht nur äußerlich; auch unser Herz bewegt und verändert sich. Die Hinwendung zu Gott macht uns zu einer echten Liebe zu unseren Mitmenschen fähig" (www.daskirchenjahr.de). Die Hinwendung zu Gott lässt uns bescheiden, dankbar und demütig werden, dass uns die "Brosamen" selig machen. Ein sich-erheben über andere Christen oder andere Religionen ist in diesem Sinne "Völlerei" - eine der sieben Todsünden.

Auffällig war jedoch, dass weder der Beginn der Fastenzeit Erwähnung fand noch eine Würdigung Israels als "Volk Gottes" vorgenommen wurde.

Donnerstag, 11. Februar 2016

Invokavit; mit einem Kommentar zu den Leitgedanken der NAK vom 14. Februar 2016

Versuchung


Heute ist der 1. Sonntag der Passionszeit - Invokavit. Der Name des heutigen Sonntags leitet sich von dem Beginn der lateinischen Antiphon ab: "Invocavit me, et ergo exaudiam eum" (Ps 91, 15; Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören).

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir den Psalm 91:
Geborgen unter dem Schutz Gottes
Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, darf bleiben im Schatten des Allmächtigen. Darum sage ich zum Herrn: »Du bist meine Zuflucht und meine sichere Festung, du bist mein Gott, auf den ich vertraue.« Ja, er rettet dich ´wie einen Vogel` aus dem Netz des Vogelfängers, er bewahrt dich vor der tödlichen Pest. Er deckt dich schützend mit seinen Schwingen, unter seinen Flügeln findest du Geborgenheit. Seine Treue gibt dir Deckung, sie ist dein Schild, der dich schützt. Du brauchst dich nicht zu fürchten vor dem Schrecken der Nachtoder vor den Pfeilen, die am Tag abgeschossen werden, nicht vor der Pest, die im Finstern umgeht, nicht vor der Seuche, die mitten am Tag wütet. Selbst wenn Tausend neben dir fallen, gar Zehntausend zu deiner Rechten – dich trifft es nicht! Aber anschauen wirst du es mit eigenen Augen, du wirst sehen, wie die Feinde Gottes ihre gerechte Strafe bekommen. Denn du ´hast gesagt`: »Der Herr ist meine Zuflucht!« Den Höchsten hast du zum Schutz dir erwählt. So wird dir kein Unglück zustoßen, und kein Schicksalsschlag wird dich in deinem Zuhause treffen. Denn er hat für dich seine Engel entsandt und ihnen befohlen, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie werden dich auf Händen tragen, damit du mit deinem Fuß nicht an einen Stein stößt. Über Löwen und Ottern wirst du hinwegschreiten, starke junge Löwen und Schlangen wirst du zu Boden treten. ´So sagt nun der Herr:`»Weil er mit ganzer Liebe an mir hängt, will ich ihn befreien; ich hole ihn heraus aus der Gefahr, denn er kennt meinen Namen. Wenn er zu mir ruft, werde ich ihm antworten. In Zeiten der Not stehe ich ihm bei, ja, ich reiße ihn heraus und bringe ihn zu Ehren. Ich schenke ihm ein erfülltes und langes Leben und zeige ihm, wie ich Rettung schaffe.« (NGÜ)

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich in Mt 4, 1-11
Jesus wird auf die Probe gestellt
Danach führte der Geist Gottes Jesus in die Wüste, wo er vom Teufel auf die Probe gestellt werden sollte. Nachdem er vierzig Tage und Nächte gefastet hatte, war er hungrig. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: »Wenn du Gottes Sohn bist, dann befiehl doch, dass die Steine hier zu Brot werden!« Jesus antwortete: »In den Heiligen Schriften steht: ›Der Mensch lebt nicht nur von Brot; er lebt von jedem Wort, das Gott spricht.‹« Darauf führte der Teufel ihn in die Heilige Stadt, stellte ihn auf den höchsten Punkt des Tempels und sagte: »Wenn du Gottes Sohn bist, dann spring doch hinunter; denn in den Heiligen Schriften steht: ›Deinetwegen wird Gott seine Engel schicken und sie werden dich auf Händen tragen, damit du dich an keinem Stein stößt.‹« Jesus antwortete: »In den Heiligen Schriften heißt es auch: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht herausfordern.‹« Zuletzt führte der Teufel Jesus auf einen sehr hohen Berg, zeigte ihm alle Reiche der Welt in ihrer Größe und Pracht und sagte: »Dies alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.« Da sagte Jesus: »Weg mit dir, Satan! In den Heiligen Schriften heißt es: ›Vor dem Herrn, deinem Gott, wirf dich nieder, ihn sollst du anbeten und niemand sonst.‹« Darauf ließ der Teufel von Jesus ab, und Engel kamen und versorgten ihn. (GNB)

Für den Sonntag Invokavit ist keine Bachkantate (Johann Sebastian Bach 1685-1750) vorgesehen.

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet:
Mache dich, mein Geist, bereit (T: Johann Burchard Freystein 1695; M: vor 1681; geistlich Braunschweig 1686, Dresden 1694)

Die Lesung und Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK an diesem Sonntag sind aus „Matthäus 6, 31-32: Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.“ (LUT) 

Begründung: „Am darauffolgenden Sonntag, der die Überschrift ‚Gott sorgt für uns’ trägt, geht es ebenfalls um die Fürsorge Gottes, der alleine wahrhaft Gutes und Vollkommenes schenken kann. In unseren Gebeten wollen wir ihn immer wieder um diese Gaben bitten. Wir wollen, so beschenkt, auch ein Segen für unseren Nächsten sein“ (zitiert aus den o. g. Leitgedanken der NAK).
Die Auswahl lässt sich mühelos mit der "Versuchungsgeschichte" verknüpfen, was sich in der Begründung jedoch nicht widerspiegelt. 

Kommentar: Diese Versuchungsepisode ist wohl eine der spannendsten Geschichten in der Bibel. Es ist eine Geschichte voller Demütigungen und Provokationen. Es stehen sich Jesus und der Teufel gleichsam als "sich duellierende jüdische Intellektuelle" gegenüber (Miles, J, Jesus, 2001, 43).
Angeregt durch Miles (ders.) und Drewermann (Tiefenpsychologie und Exegese, 3. Aufl., 1992) lese ich die Versuchungsgeschichte als ureigene innerpsychische Auseinandersetzung Jesu um seine eigene Rolle und Identität und seine Stellung innerhalb des jüdischen Volkes Gottes, von dem er ein Teil ist. Denn auch Jesus selbst musste sich ja die Frage beantworten, ob der Messias gekommen ist.
Identität kann mit Keupp als subjektiver Konstruktionsprozess begriffen werden, in dem Individuen eine Passung von innerer und äußerer Welt suchen (vergl. Keupp, H. u. a., Identitätskonstruktionen, 1999, 7).
Die Fragen lauten dann: Wer bin ich (mit Blick auf mich selbst)? oder "Bist Du der Gott, der damals in der Wüste ein Speisewunder tat? Wenn ja, dann beweise es, in dem Du ein weiteres Wunder tust." und
Wer bin ich (mit Blick auf die Gesellschaft und mit dem Gottesbezug)? oder "Was nützt Dir die Allmacht Gottes, wenn Gott diese Macht nicht für Dich einsetzt (und im Hinblick auf die kollektive und die individuelle Leidensgeschichte kann man mithören: "... und er hat es nie getan und wird es nie tun ...")?
Jesus beantwortet diese Frage zunächst mit Blick auf das Kollektiv und bedenkt den Auszug des Volkes aus Ägypten und die Wüstenwanderung (insb. Dtn 8). Gleichsam wie ein Advocatus Diaboli fallen ihm Gegenargumente ein (z. B. die babylonische Gefangenschaft (Jer 27)). In diesem Lichte betrachtet verkehrt sich der oben zitierten Ps 91 sogar in sein Gegenteil.
Jesus findet schließlich seine Antwort im "Sch'ma Jisrael", begreift sich selber als der gekommene Messias und beantwortet die Fragen auch mit Blick auf sich selber.
Das "Höre, Israel!" (Schma Jisrael; hebräisch שְׁמַע יִשְׂרָאֵל Sch'ma Jisrael, Schᵉma Jisrael oder kurz Sch'ma) und die folgenden Toraverse sind zentrale Bestandteile des täglichen Gebets im Judentum. Der Sch'ma-Ausdruck umfasst die monotheistische Essenz des Judentums und den Zentralkontext der Tora, in welchen die Kernbotschaft der Nächstenliebe gebettet ist: „Höre Jisrael! Adonaj ist für uns Gott, einzig und allein Adonaj ist Gott“ (Dtn 6, 4).
An der Versuchungsepisode kann somit sehr eindrucksvoll gezeigt werden, was Stegemann (s. o.) meint, wenn er davon spricht, dass "die von Matthäus erzählte 'Jesusgeschichte' als Fortschreibungsgeschichte der Geschichte Israels gelesen werden kann und mit seinen häufigen Verweisen auf die heiligen Schriften Israels die 'Jesusgeschichte' bewusst in die Erwählungsgeschichte Israels einbettet."So kann das Evangelium von der Versuchung Jesu als Geschichte der "Selbstvergewisserung Jesu" gelesen und als "Geburtsstunde" seiner Identität als Messias (und somit als Heil der Völker) angesehen werden oder, mit Keupp, als gelungene Identitätskonstruktion.

Freitag, 5. Februar 2016

Estomihi; mit einem Kommentar zu den Leitgedanken der NAK vom 07. Februar 2016

Bild: Der Kreuzweg Christi (Pantheon in Rom); eigene Aufnahme

Der Weg zum Kreuz (Der Weg der Liebe)


Der heutige Sonntag trägt den Namen Estomihi und leitet sich von dem Beginn der lateinischen Antiphon ab: esto mihi in lapidem fortissimum et in domum munitam ut salves me (Ps 31, 3b: Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!).

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir den Psalm 31:
Alle Zeiten meines Lebens sind in deiner Hand
Bei dir, Herr, habe ich Zuflucht gefunden. Lass mich nie in Schande geraten! Erweise mir deine Treue und rette mich! Neige dich zu mir herab und schenke meinem Rufen ein offenes Ohr! Befreie mich doch schnell aus meiner Not! Sei mir ein Fels, bei dem ich Schutz finde, eine Festung auf hohem Berg! Rette mich! Ja, du, du bist mein Fels und meine Burg! Du wirst mich führen und leiten – dafür stehst du mit deinem Namen ein. Befreie mich aus der Falle, die meine Feinde mir hinterhältig gestellt haben! Du bist mein Schutz. In deine Hände gebe ich meinen Geist. Du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott! Ich verabscheue alle, die nutzlose Götzen verehren, und ich selbst vertraue ganz dem Herrn. Voller Freude juble ich über deine Gnade: Du kennst mein Elend, kümmerst dich um meine Nöte, die so schwer auf meiner Seele liegen. Du hast mich nicht in die Hand meiner Feinde gegeben, weiten Raum hast du vor mir geschaffen. Sei du mir ´auch in Zukunft` gnädig, Herr! Noch bin ich in großer Bedrängnis, sind meine Augen trüb vor Traurigkeit, erschöpft bin ich an Leib und Seele. Voller Kummer schwindet mein Leben dahin, mit Stöhnen sehe ich zu, wie meine Jahre verrinnen. Eigene Schuld hat mir die Kraft genommen. Meine Glieder sind wie gelähmt. Meine Feinde haben dafür gesorgt, dass ich Hohn und Spott von meinen Nachbarn ernte. Meine Bekannten schrecken vor mir zurück; wer mich auf der Straße sieht, geht mir eilig aus dem Weg. Man hat mich vergessen, aus der Erinnerung verdrängt wie einen längst Verstorbenen. Ich komme mir vor wie ein ausgedientes Gefäß, ´das man zum Abfall wirft`. Ich höre ja genau, was viele tuscheln. Grauenhaft, was um mich vorgeht! Da schmieden Leute miteinander Pläne gegen mich und haben dabei nur das eine Ziel: sie wollen mir das Leben nehmen. Ich aber, Herr, vertraue auf dich! Ich sage es ´und halte daran fest`: »Du bist mein Gott!« Alle Zeiten meines Lebens sind in deiner Hand. Rette mich auch jetzt aus der Gewalt meiner Feinde und vor denen, die mich verfolgen! Wende dein Angesicht mir, deinem Diener, freundlich zu! Sei mir gnädig und rette mich! Herr, weil ich dich anrufe, lass mich nicht in Schande geraten – die gottlosen Verleumder aber sollen in Schande enden und im Totenreich für immer schweigen müssen. Verstummen muss jedes Lügenmaul, das mit Stolz und Verachtung frech gegen den redet, der nach dem Willen des Herrn lebt. ´Herr`, wie viel Gutes hältst du doch bereit für alle, die Ehrfurcht vor dir haben! Ja, vor den Augen aller Menschen zeigst du deine Güte denen, die bei dir Zuflucht suchen. Du birgst sie ganz nahe bei dir, unter deinen Augen sind sie vor hinterhältigen Menschen sicher. Wie in einer schützenden Hütte bewahrst du sie vor dem feindseligen Geschwätz ringsum. Gepriesen sei der Herr, denn er hat mir wunderbar seine Gnade erwiesen; er hat mir in einer befestigten Stadt Zuflucht geschenkt. Vorher hatte ich noch in meiner Verzweiflung gesagt:»Ich bin alleingelassen, verbannt aus deinen Augen.«Aber du hast auf mein lautes Flehen gehört, schon damals, als ich zu dir um Hilfe schrie. Ihr alle, die ihr zum Herrn gehört: zeigt ihm eure Liebe! Der Herr behütet alle, die ihm die Treue halten. Doch denen, die vermessen handeln, zahlt er ihren Hochmut gründlich heim. Seid stark und fasst neuen Mut, ihr alle, die ihr auf das Eingreifen des Herrn wartet! (NGÜ)

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich in Mk 8, 31-38:
Jesus kündigt zum ersten Mal seinen Tod an
Danach begann Jesus den Jüngern klar zu machen, was Gott mit ihm vorhatte: dass der Menschensohn vieles erleiden und von den Ratsältesten, den führenden Priestern und den Gesetzeslehrern verworfen werden müsse, dass er getötet werden und nach drei Tagen auferstehen müsse. Jesus sagte ihnen das ganz offen. Da nahm Petrus ihn beiseite, fuhr ihn an und wollte ihm das ausreden. Aber Jesus wandte sich um, sah die anderen Jünger und wies Petrus scharf zurecht. »Geh weg!«, sagte er. »Hinter mich, an deinen Platz, du Satan! Deine Gedanken stammen nicht von Gott, sie sind typisch menschlich.«
Jesus folgen heißt: ihm das Kreuz nachtragen
Dann rief Jesus die ganze Menschenmenge hinzu und sagte: »Wer mir folgen will, muss sich und seine Wünsche aufgeben, sein Kreuz auf sich nehmen und auf meinem Weg hinter mir hergehen. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Aber wer sein Leben wegen mir und wegen der Guten Nachricht verliert, wird es retten. Was hat ein Mensch davon, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber zuletzt sein Leben verliert? Womit will er es dann zurückkaufen? Die Menschen dieser schuldbeladenen Generation wollen von Gott nichts wissen. Wenn jemand nicht den Mut hat, sich vor ihnen zu mir und meiner Botschaft zu bekennen, dann wird auch der Menschensohn keinen Mut haben, sich zu ihm zu bekennen, wenn er in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln kommt!« (GNB)

Meine Bachkantate (Johann Sebastian Bach 1685-1750) für den heutigen Tag ist:
Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott (BWV 127). Er komponierte die Choralkantate in Leipzig und führte sie am 11. Februar 1725 erstmals auf.

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet:
Lasset uns mit Jesus ziehen (Text: Sigmund von Birken, 1653; Melodie: Johann Schop, 1641 (Sollt ich meinem Gott nicht singen))

Demgegenüber ist die Lesung und die Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK an diesem Sonntag aus „Mt 5, 17: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (LUT)

Begründung: Begründet wird die Auswahl, die mit „Das Gesetz des ‚Himmelreichs’“ überschrieben ist, so: „‚Das Gesetz Christi‘ – das ist das Schwerpunktthema, das in drei Sonntagsgottesdiensten im Monat Februar unter verschiedenen Aspekten betrachtet wird. Das ‚Gesetz Christi’ besteht in der Forderung nach Gottes- und Nächstenliebe. Durch dieses Gesetz wird zugleich deutlich, dass sich der Mensch das Heil nicht durch gute Taten verdienen kann, sondern dass es ihm durch den Glauben an Jesus Christus zuteil wird (KNK 4.8.1.). Am ersten Sonntag wird Jesus Christus als derjenige herausgestellt, der als ‚wahrer Mensch‘ als einziger das mosaische Gesetz erfüllt hat. Als ‚wahrer Gott‘ hat er die Autorität, ein neues Gesetz zu geben, das im Reich Gottes gültig ist (KNK 3.4.8.7, 4.7. und 4.8.)“ (zitiert aus den o. g. Leitgedanken der NAK).

Kommentar: Wie so oft hilft die GNB und die Wortumgebung zum besseren Verständnis dieser Stelle weiter: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Weisungen der Propheten außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um sie außer Kraft zu setzen, sondern um sie zu erfüllen und ihnen volle Geltung zu verschaffen. Ich versichere euch: Solange Himmel und Erde bestehen, wird kein i-Punkt und kein Komma im Gesetz gestrichen. Das ganze Gesetz muss erfüllt werden. Wer also ein noch so unbedeutendes Gebot für ungültig erklärt und die Menschen in diesem Sinne lehrt, wird in der neuen Welt Gottes den letzten Platz einnehmen. Wer es aber befolgt und andere dazu anhält, wird in der neuen Welt Gottes hoch geachtet sein. Ich sage euch: Ihr werdet niemals in Gottes neue Welt kommen, wenn ihr seinen Willen nicht besser erfüllt als die Gesetzeslehrer und Pharisäer.« lautet diese Stelle in der Übertragung der sogen. "Bibel in heutigem Deutsch." (Mt 5, 17-20: Den Willen Gottes im Gesetz ganz ernst nehmen).
Der Bibelabschnitt ist der sogen. Bergpredigt (Mt 5-7) entnommen. Der Unterabschnitt (Mt 5, 17-20) ist bei Fiedler mit "Jesu Stellung zur Tora als Verpflichtung für die Jüngerschaft" überschrieben.
Jesus stellt sich also vor als derjenige, der mit dem Gesetz, mit der Tora, in dem Gesetz und unter dem Gesetz lebt. In diesem erfüllt er das Gesetz. Fiedler schlägt als Übersetzung "verwirklichen, ausführen, tun" vor. Erfüllt wird das Gesetz und die Tora durch die Tat. In diesem Sinne bedeutet die Erfüllung der Tora in Hinblick auf die Jüngerinnen und Jünger und in Hinblick auf uns heute die Aufforderung zur tätigen, aktiven Nachfolge. Die Lehrautorität Jesu ist gerade auch darin begründet, "dass seine Schülerinnen und Schüler in der Nachfolge die Verwirklichung des Gotteswillens 'praktisch' einüben können (Fiedler, 2006, 124). "Es kann also keine Rede davon sein, dass Jesus die bisherige Tora dadurch überbietet, dass er als der Messias, die endgültige Bedeutung der Tora offenbart, was die Verkündigung neuer Gebote einschließen soll" (ebenda). Jesus betont vielmehr die "unantastbare Geltung der gesamten Tora" (ebenda, 125)!
Die Leitgedanken nehmen in den Ausführungen vermutlich Bezug auf die lutherische Formel: "Ich aber sage Euch..." (Mt 5, 21-48).
Diese Formel ist nicht als Antithese zum mosaischen Gesetz zu verstehen. Heute würde man mit "meiner Meinung nach", "ich verstehe diese Stelle so" oder "besonders hervorheben (aus dem Gesetz) möchte ich." Es geht also um unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eines biblischen Textes. Zudem weist Fiedler auch darauf hin, dass die antithetisch wirkende Form eine literarische Gestaltung durch Matthäus darstellt, ein stilistischer Kniff sozusagen (vergl. dazu ausführlich Fiedler, 2006, 122-129). Berger postuliert sogar, dass das Mt-Ev. das jüngste der vier Evangelien ist (vergl. dazu BNÜ). Dementsprechend übersetzt die "Bibel in gerechter Sprache" diese Stellen  in konsequenter Weise auch mit "Ich lege euch das heute so aus..." Somit fordert uns Christus an dem heutigen Sonntag nicht nur dazu auf, sich unter sein Kreuz zu begeben, sondern auch dazu, den 2000 jährigen Graben zwischen den biblischen Traditionen und unserem modernen Leben mutig zu überspringen und in homiletisch deutlich zu machen, was es heute heißt, das Gesetz zu erfüllen! Dabei ist es jedoch nicht ausreichend, lediglich auf die Autorität Jesu zu verweisen.

Montag, 25. Januar 2016

Sexagesimae; mit einem Kommentar zu den Leitgedanken der NAK vom 31. Januar 2016

Gemälde Kristina Dittert © 2011


Viererlei Ackerfeld (Wort Gottes - Antwort des Menschen)


Heute ist der 2. Sonntag vor der Passionszeit - Sexagesimae. Der Sonntag weist darauf hin, dass es noch 60 Tage bis Ostern sind.

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir den Psalm 128:
Gottes Segen für die Familie
Ein Wallfahrtslied, gesungen auf dem Weg hinauf nach Jerusalem. Glücklich zu preisen ist, wer dem Herrn in Ehrfurcht begegnet, wer auf den von Gott gezeigten Wegen geht. So wirst du genießen dürfen, was du mit eigenen Händen erarbeitet hast. Zu beglückwünschen bist du – gut steht es um dich! Deine Frau gleicht einem fruchtbaren Weinstock, dort im Schutz deines Hauses; deine Kinder sind wie junge Olivenbaumpflanzen, wenn sie um deinen Tisch versammelt sitzen. Ja, so wird der Mensch gesegnet, der dem Herrn in Ehrfurcht begegnet. Es segne dich der Herr vom Berg Zion aus! Mögest du sehen, wie gut es Jerusalem geht, alle Tage deines Lebens! Mögest du so lange leben, dass du noch die Kinder deiner Kinder sehen kannst! Friede ´komme` über Israel! (NGÜ)

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich in Lk 8, 4-15:
Das Gleichnis von der Aussaat
Eine große Menschenmenge sammelte sich um Jesus, aus allen Orten strömten die Leute zu ihm. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis: »Ein Bauer ging aufs Feld, um seinen Samen zu säen. Als er die Körner ausstreute, fiel ein Teil von ihnen auf den Weg. Dort wurden sie zertreten und von den Vögeln aufgepickt. Andere Körner fielen auf felsigen Boden. Sie gingen auf, vertrockneten dann aber, weil sie nicht genug Feuchtigkeit hatten. Wieder andere Körner fielen mitten in Dornengestrüpp, das wuchs mit auf und erstickte das Korn. Andere Körner schließlich fielen auf guten Boden, gingen auf und brachten hundertfache Frucht.« Darauf rief Jesus: »Wer Ohren hat, soll gut zuhören!«
Jesus erklärt das Gleichnis von der Aussaat
Die Jünger fragten Jesus, was dieses Gleichnis bedeute. Jesus antwortete: »Euch hat Gott die Geheimnisse seines Planes erkennen lassen, nach dem er schon begonnen hat, seine Herrschaft in der Welt aufzurichten; die anderen bekommen davon nur in Gleichnissen zu hören. Sie sollen sehen und doch nichts erkennen, sie sollen hören und doch nichts verstehen. Das Gleichnis will Folgendes sagen: Der Samen ist die Botschaft Gottes. Bei manchen, die sie hören, geht es wie bei dem Samen, der auf den Weg fällt. Der Teufel kommt und nimmt weg, was in ihr Herz gesät worden ist. Er will nicht, dass sie die Botschaft annehmen und gerettet werden. Bei anderen ist es wie bei dem Samen, der auf felsigen Boden fällt. Sie hören die Botschaft und nehmen sie mit Freuden an. Aber sie sind Menschen ohne Wurzel: Eine Zeit lang halten sie sich an die Botschaft; aber wenn sie auf die Probe gestellt werden, fallen sie ab. Wieder bei anderen ist es wie bei dem Samen, der in das Dornengestrüpp fällt. Sie hören zwar die Botschaft, aber dann gehen sie davon und ersticken in ihren Alltagssorgen, in Reichtum und Vergnügungen und bringen keine Frucht. Bei anderen schließlich ist es wie bei dem Samen, der auf guten Boden fällt. Sie nehmen die Botschaft mit gutem und willigem Herzen an, bewahren sie und bringen durch Standhaftigkeit Frucht.« (GNB)

Meine Bachkantate (Johann Sebastian Bach 1685-1750) für den heutigen Tag ist J. S. Bach:
Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (BWV 126). Kantate für den Sonntag Sexagesimae 1725.

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet:
Tut mir auf die schöne Pforte (Text: Benjamin Schmolck 1734; Melodie: Joachim Neander 1680).

Demgegenüber ist die Lesung und die Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK an diesem Sonntag aus „Kol 3, 13: Ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (LUT)

Die Predigtgrundlage ist in den folgenden Kontext eingebettet:

Ein neues Leben durch Christus
Wenn ihr nun mit Christus auferweckt seid, dann orientiert euch nach oben, wo Christus ist! Gott hat ihm den Ehrenplatz an seiner rechten Seite gegeben. Richtet also eure Gedanken nach oben und nicht auf die irdischen Dinge! Ihr seid doch gestorben, und euer Leben ist mit Christus bei Gott verborgen. Wenn einmal Christus, euer Leben, allen sichtbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm zusammen in der ganzen Herrlichkeit sichtbar werden, die euch jetzt schon geschenkt ist. Darum tötet alles, was an euch noch irdisch ist: Unzucht, Ausschweifung, Leidenschaft, böse Lust und die Habsucht. Habsucht ist so viel wie Götzendienst. Wegen dieser Dinge kommt das Gericht Gottes. Auch ihr habt früher entsprechend gelebt, als ihr noch ganz dem Irdischen verhaftet wart. Aber jetzt müsst ihr das alles ablegen, auch Zorn und Aufbrausen, Boshaftigkeit, Beleidigung und Verleumdung. Belügt einander nicht mehr! Ihr habt doch den alten Menschen mit seinen Gewohnheiten ausgezogen und habt den neuen Menschen angezogen: den Menschen, der in der Weise erneuert ist, dass er nun Gott erkennt und weiß, was Gott will – der erneuert ist nach dem Bild dessen, der ihn am Anfang nach seinem Bild geschaffen hat! Wo diese Erneuerung geschehen ist, da zählt es nicht mehr, ob jemand zu den Griechen gehört oder zu den Juden, ob jemand beschnitten ist oder unbeschnitten, ob jemand zu einem unzivilisierten Volk gehört oder gar zu einem Stamm von Wilden, ob jemand im Sklavenstand ist oder frei. Was einzig noch zählt, ist Christus, der in allen lebt und der alles wirkt.
Anweisungen für alle
Ihr seid von Gott erwählt, der euch liebt und zu seinem heiligen Volk gemacht hat. Darum zieht nun wie eine neue Bekleidung alles an, was den neuen Menschen ausmacht: herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Milde, Geduld. Ertragt einander! Seid nicht nachtragend, wenn euch jemand Unrecht getan hat, sondern vergebt einander, so wie der Herr euch vergeben hat. Und über das alles zieht die Liebe an, die alles andere in sich umfasst. Sie ist das Band, das euch zu vollkommener Einheit zusammenschließt. Der Frieden, den Christus schenkt, muss euer ganzes Denken und Tun bestimmen. In diesen Frieden hat Gott euch alle miteinander gerufen; ihr seid ja durch Christus ein Leib. Werdet dankbar! Gebt dem Wort Raum, in dem Christus bei euch gegenwärtig ist. Lasst es seinen ganzen Reichtum unter euch entfalten. Unterweist und ermahnt einander mit aller Weisheit. Singt Gott von ganzem Herzen Psalmen, Hymnen, Loblieder, wie seine Gnade sie schenkt und sein Geist sie euch eingibt. Alles, was ihr tut und was ihr sagt, soll zu erkennen geben, dass ihr Jesus, dem Herrn, gehört. Euer ganzes Leben soll ein einziger Dank sein, den ihr Gott, dem Vater, durch Jesus Christus darbringt. (GNB)

Begründung: Begründet wird die Auswahl, die mit „Einander ertragen“ überschrieben ist, so: „Der fünfte Sonntagsgottesdienst gibt uns Anleitung, wie wir dem Nächsten trotz aller Unterschiedlichkeit und Fremdheit wohlwollend zugewandt bleiben können. Hierin werden wir oft vom Bösen versucht, Ablehnung, Hass und Verurteilung an den Tag zu legen. Dem wollen wir nach dem Vorbild Jesu siegreich begegnen“ (zitiert aus den o. g. Leitgedanken der NAK).

Kommentar: Bei dem Kolosserbrief handelt es sich um eine sogen. Deuteropauline. Durchgängig tritt in diesen Schriften die paulinische Rechtfertigungslehre in den Hintergrund, während kirchenrechtliche und ethische Probleme in den Vordergrund rücken. Die ethischen Ermahnungen, denen die Textgrundlage entnommen worden ist (Kol 3, 1-17) haben Abkehr vom "alten Menschen" und Hinwendung zum "neuen Menschen" zum Thema und steht so in der Tradition der sogen. Bergpredigt (Mt. 5-7) und gleichnishafter Reden (s. o.). Vergleiche dazu ausführlich Bernhard Heininger: Die Rezeption des Paulus im ersten Jahrhundert. In: Wischmeyer, 2006, 309-340, inbs. 310-316).

Samstag, 23. Januar 2016

Septuagesimae; mit einem Kommentar zu den Leitgedanken der NAK vom 24. Januar 2016

Lohn und Gnade (Der Lohn des Glaubens)


Heute ist der 3. Sonntag vor der Passionszeit - Septuagesimae. Der Sonntag weist darauf hin, dass es noch 70 Tage bis Ostern sind.

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir den Psalm 89, 20-53:
Gelten Gottes Zusagen nicht mehr?
Damals sprachst du in einer Vision zu denen, die dir treu sind: »Ich bringe Hilfe durch einen mutigen Mann; ja, einen Mann aus dem Volk habe ich erwählt und zu Ehren gebracht. Es ist mein Diener David, ihn habe ich gefunden, mit meinem heiligen Öl habe ich ihn ´zum König` gesalbt. Ständig will ich ihn mit starker Hand begleiten, mein Arm soll ihn stützen und stärken. Kein Feind soll ihn überwältigen, und gewalttätige Menschen sollen ihn nicht bezwingen. Vielmehr will ich seine Gegner vor seinen Augen zerschmettern, und alle, die ihn hassen, will ich niederschlagen. Meine Treue und Gnade sollen ihn stets begleiten, und durch meinen Namen soll er mächtig und siegreich sein. Ich will seine Macht ausdehnen bis ans Meer und seinen Herrschaftsbereich bis an die Ströme. Er wird zu mir rufen: ›Du bist mein Vater! Du bist mein Gott, mein Fels und meine sichere Rettung!‹ Und ich will ihn zu meinem erstgeborenen Sohn ernennen, zum höchsten unter allen Königen der Erde. Für immer will ich ihm meine Gnade erweisen, und mein Bund mit ihm soll für alle Zeiten Bestand haben. Sein Königsgeschlecht will ich für immer erhalten und seinen Thron, solange der Himmel besteht. Wenn aber seine Nachkommen meinem Gesetz den Rücken kehren und sich nicht nach meinen Rechtsbestimmungen richten, wenn sie meine Ordnungen mit Füßen treten und sich nicht an meine Gebote halten, dann werde ich ihr Vergehen mit dem Stock bestrafen und ihre Schuld mit Schlägen ahnden. Meine Gnade jedoch will ich David nicht entziehen und meinen Zusagen nicht untreu werden. Ich werde meinen Bund nicht mit Füßen treten und die Worte, die über meine Lippen kamen, nicht abändern. Eines habe ich bei meiner Heiligkeit geschworen – und niemals werde ich David gegenüber zum Lügner werden: Sein Königsgeschlecht soll für immer Bestand haben und sein Thron, solange es die Sonne gibt. Ja, seine Herrschaft ist beständig wie der Mond, der ein zuverlässiger Zeuge in den Wolken ist.« // Doch dann hast du ´den König` verstoßen und verschmäht, hast deinem Zorn freien Lauf gelassen gegen ihn, den du gesalbt hast! Du wolltest vom Bund mit deinem Diener nichts mehr wissen, hast seine Krone zu Boden geworfen und entweiht. Du hast seine Mauern durchbrochen, seine Befestigungsanlagen in Trümmer gelegt. Alle, die vorbeikommen, dürfen sein Land plündern, und seine Nachbarvölker verhöhnen ihn. Denen, die ihn bedrängen, hast du zum Sieg verholfen, all seinen Feinden hast du Freude bereitet. Sein scharfes Schwert ließt du stumpf werden, und im Krieg gabst du ihm nicht die Oberhand. All seinen Glanz hast du schwinden lassen, seinen Thron hast du umgestürzt. Du hast die Jahre seiner Jugend vorschnell enden lassen und ihn mit Schande überhäuft.// Wie lange noch willst du dich verbergen, Herr? Doch nicht für immer? Wie lange soll dein Zorn wüten wie ein verzehrendes Feuer? Denke an mich! Wie kurz ist mein Leben! Wie vergänglich hast du doch alle Menschen erschaffen! Gibt es denn auch nur einen Menschen, der niemals sterben muss? Wer kann sein Leben schon vor der Macht des Totenreichs retten?// Wo sind die früheren Erweise deiner Gnade geblieben, Herr? Du hast sie doch deinem Diener David mit einem Treueschwur zugesagt! Denke doch daran, welche Schande deine Diener ertragen müssen, Herr! Mein Herz ist schwer durch den Hohn der Nachbarvölker! Letztlich verhöhnen deine Feinde doch dich damit, Herr! Sie verspotten auch alles, was dein gesalbter König unternimmt. Gepriesen sei der Herr in Ewigkeit. Amen, ja, Amen. (NGÜ)

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich in Mt 20, 1-16:
Die Arbeiter im Weinberg
»Wenn Gott sein Werk vollendet, wird es sein wie bei dem Weinbergbesitzer, der früh am Morgen auf den Marktplatz ging, um Leute zu finden und für die Arbeit in seinem Weinberg anzustellen. Er einigte sich mit ihnen auf den üblichen Tageslohn von einem Silberstück, dann schickte er sie in den Weinberg. Um neun Uhr ging er wieder auf den Marktplatz und sah dort noch ein paar Männer arbeitslos herumstehen. Er sagte auch zu ihnen: ›Ihr könnt in meinem Weinberg arbeiten, ich will euch angemessen bezahlen.‹ Und sie gingen hin. Genauso machte er es mittags und gegen drei Uhr. Selbst als er um fünf Uhr das letzte Mal zum Marktplatz ging, fand er noch einige herumstehen und sagte zu ihnen: ›Warum tut ihr den ganzen Tag nichts?‹ Sie antworteten: ›Weil uns niemand eingestellt hat.‹ Da sagte er: ›Geht auch ihr noch hin und arbeitet in meinem Weinberg!‹ Am Abend sagte der Weinbergbesitzer zu seinem Verwalter: ›Ruf die Leute zusammen und zahl allen ihren Lohn! Fang bei denen an, die zuletzt gekommen sind, und höre bei den ersten auf.‹ Die Männer, die erst um fünf Uhr angefangen hatten, traten vor und jeder bekam ein Silberstück. Als nun die an der Reihe waren, die ganz früh angefangen hatten, dachten sie, sie würden entsprechend besser bezahlt, aber auch sie bekamen jeder ein Silberstück. Da murrten sie über den Weinbergbesitzer und sagten: ›Diese da, die zuletzt gekommen sind, haben nur eine Stunde lang gearbeitet, und du behandelst sie genauso wie uns? Dabei haben wir den ganzen Tag über in der Hitze geschuftet!‹ Da sagte der Weinbergbesitzer zu einem von ihnen: ›Mein Lieber, ich tue dir kein Unrecht. Hatten wir uns nicht auf ein Silberstück geeinigt? Das hast du bekommen, und nun geh! Ich will nun einmal dem Letzten hier genauso viel geben wie dir! Ist es nicht meine Sache, was ich mit meinem Eigentum mache? Oder bist du neidisch, weil ich großzügig bin?‹« Jesus schloss: »So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten.« (GNB)

Meine Bachkantate (Johann Sebastian Bach 1685-1750) für den heutigen Tag ist:
Ich hab in Gottes Herz und Sinn (BWV 92). Der Text der Kantate folgt strikt dem gleichnamigen Lied von Paul Gerhardt (1607-1676). Sie wurde am 28. Januar 1725 erstmals aufgeführt.

Ich hab in Gottes Herz und Sinn
1. Ich hab in Gottes Herz und Sinn mein Herz und Sinn ergeben. Was böse scheint, ist mir Gewinn, der Tod selbst ist mein Leben. Denn Gott ist mein und ich bin sein; was ist wohl, was ist schade? Ob er gleich schlägt und Kreuz auflegt, bleib ich in seiner Gnade.
2. Zudem ist Weisheit und Verstand bei ihm ohn alle Maßen: Zeit, Ort und Stund ist ihm bekannt, zu tun und auch zu lassen. Er weiß, wann Freud, er weiß, wann Leid uns, seinen Kindern, diene; und was er tut, ist alles gut, ob´s noch so traurig schiene. 
3. Fürwahr, der dich geschaffen hat und sich zur Ehr erbauet, der hat schon längst in seinem Rat ersehen und erschauet aus wahrer Treu, was dienlich sei dir und den Deinen allen. Lass ihm doch zu, dass er nur tu nach seinem Wohlgefallen! 
4. Wie‘s Gott gefällt, so muss es sein, zuletzt wird‘s dich erfreuen; was du jetzt nennest Kreuz und Pein, wird dir zum Trost gedeihen. Wart in Geduld, die Gnad und Huld wird sich doch endlich finden; all Angst und Qual wird auf einmal gleichwie ein Dampf verschwinden. 
5. Ei nun, mein Gott, so fall ich dir getrost in deine Hände. Nimm mich und mach es du mit mir bis an mein letztes Ende, wie du wohl weißt, dass meinem Geist dadurch sein Heil entstehe, und deine Ehr je mehr und mehr sich in ihr selbst erhöhe. 
6. Willst du mir geben Sonnenschein, so nehm ich‘s an mit Freuden; soll‘s aber Kreuz und Unglück sein, will ich‘s geduldig leiden. Soll mir allhier des Lebens Tür noch ferner offen stehen, wie du mich führst und führen wirst, so will ich gern mitgehen. 
7. Soll ich denn auch des Todes Weg und finstre Straßen reisen, wohlan, so tret ich Bahn und Steg, den mir dein Augen weisen. Du bist mein Hirt, der alles wird zu solchem Ende kehren, dass ich einmal in deinem Saal dich ewig möge ehren. 

Mein Lied für den heutigen Sonntag lautet:
Herr Jesu Christ, dich zu uns wend (Text: Wilhelm II. von Sachsen-Weimar (?) 1648; Str. 4 Gotha 1651; Melodie: Gochsheim/Redwitz 1628, Görlitz 1648).

Demgegenüber ist die Lesung und die Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK an diesem Sonntag aus „1 Petr 4, 12.13: Ihr Lieben, lasst euch durch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt zu eurer Versuchung, als widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben mögt.“ (LUT)

Begründung: Begründet wird die Auswahl, die mit „Bewährung in der Versuchung“ überschrieben ist, so: „Der vierte Sonntagsgottesdienst im Januar beschreibt die Aspekte unserer Treue zum Herrn und welche Freuden damit verbunden sind. Wir sehen, sich für Gott und die uns von ihm gestellten Aufgaben einzusetzen, lässt uns trotz aller Unwegsamkeit des Lebens freudig sein“ (zitiert aus den o. g. Leitgedanken der NAK).

Kommentar: Drei Themen hat Petrus in seinem Brief: die "Leidenstheologie", die "Tempeltheologie" und das Leben des Christen in einer nicht christlichen Umwelt. Hierzu formuliert Petrus mit den sogen. Haustafeln ein moralisches Ordnungsschema (zwischen 50 und 55 nach Chr.). 
Eine alternative Interpretation der Leidens- und Kreuzestheologie und dem damit verbundenen Verständnis von „Versöhnung mit Gott“ (satisfactio) bietet Kroeger, 2005, 140ff an: „Gerecht vor Gott - passend zum Grundgesetzt des Lebens - sind wir (…) wenn wir uns unser Leben von ihm (Gott) schenken lassen. (…) Das gnädige Schenken und Wirken der göttlichen Urmacht, der wir primär im Glauben und Empfangen, nicht im Tun entsprechen und ‚gerecht‘ werden. Ein solcher Gott braucht kein Opfer und keine Versöhnung; er schickte ja selber seinen Sohn, um den Menschen zu helfen und er musste in seiner Gerechtigkeit, die primär nichts fordert, sondern nur schenkt, nicht versöhnt werden“ (147). 
Durch die Einbettung des heutigen Evangeliums in die Überlegungen der Jünger zum Lohn der Nachfolge wird sie genau für das o. g. Thema zu einem Lehrstück. Die Jünger sind herausgefordert, sich mit den zurechtgewiesenen Ganztagsarbeitern zu identifizieren, als diejenigen, die von Anfang an und "schon immer" und kontinuierlich dabei waren. Sie laufen Gefahr, sich über die später dazu gekommenen zu überheben, statt sie als gleichgestellt zu akzeptieren. Sie kann somit als eine Parabel über den "(sich) schenkenden Gott" gelesen werden. Auch bei Betrachtung der Parabel als ein autonomes Kunstwerk, kann sie als Erzählung über die Güte begriffen werden, in der sich die Kraft der Liebe manifestiert (vergl. dazu: Friedrich Avemarie: Jedem das Seine? Allen das Volle! (Von den Arbeitern im Weinberg). In: Zimmermann, Ruben (Hg), 2007, 461ff).