Montag, 28. April 2014

Misericordias Domini - Kommentar zu den LG vom 04.05.2014

Einleitung: "Der Monat Mai 2014 endet mit dem Gottesdienst an Himmelfahrt. Die vorlaufenden Gottesdienste des Monats machen uns bewusst, dass der Auferstandene vor seiner Himmelfahrt alle Grundlagen für die Versorgung seiner Gemeinde in jeder Hinsicht festgelegt hat. Letztlich schuf er den Petrusdienst, in dem Jesus seiner Kirche Ausrichtung und Leitung verlieh. So sind die Voraussetzungen geschaffen, dass seine Kirche das Evangelium unverfälscht weitertragen kann. Zunächst wird zu Beginn des Monats die Themenreihe „Herr des Lebens“ fortgeführt. In den Gottesdiensten des Monats April wurde deutlich, dass seine Kirche das Evangelium unverfälscht weitertragen kann. Im Monat Mai werden nun die Gemeinschaft mit dem Herrn, die Kraft seines geistgewirkten Wortes und damit die Perspektive für unser Leben thematisiert. Ein grundlegendes Element christlicher Lehre ist die Gemeinschaft, zu der der Herr einlädt. Sie wird am ersten Sonntag des Monats zum Schwerpunkt des Gottesdienstes. Wo Jesus Christus anwesend ist, da entsteht das Verlangen, mit ihm und auch mit dem Nächsten Gemeinschaft zu pflegen. Dies erleben die Jünger Jesu sehr eindrücklich. Besonders die Mahlfeiern mit dem Herrn sind Ausdruck des Miteinanders, das sich auch heute beim Heiligen Abendmahl in seiner ganzen Größe erfahren lässt. Nehmen wir deshalb die Einladung zum Tisch des Herrn immer dankbar und verlangend an."

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: "Jesus lädt zur Gemeinschaft."

Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK ist Joh 21, 12.13: "Spricht Jesus zu ihnen: 'Kommt und haltet das Mahl!' Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: 'Wer bist du?' Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt‘s ihnen, desgleichen auch die Fische."

Die Kernbotschaft lautet: "Wir wollen die Einladung des Herrn annehmen, denn sie schenkt ewigen Reichtum."

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „Joh 21, 1−13 berichtet von der Erscheinung des Auferstandenen am See Tiberias. Erscheinungen des auferstandenen Jesus in Galiläa werden auch in Mk 16, 7 und Mt 28, 10ff bezeugt. Johannes erzählt, dass Petrus und andere Jünger zum Fischen auf den See hinausfuhren. Der Fischzug bleibt erfolglos. Jesus gibt Petrus den Befehl, erneut zu fischen. Nach der Rückkehr fordert Jesus dazu auf, miteinander zu essen. 'Kommt und haltet das Mahl' (V 12). Die Jünger nehmen die Einladung an und dieses Mahl erinnert sie an das Heilige Abendmahl."

Schließlich werden die LG so zusammengefasst: "Jesus Christus lädt uns ein und wir wollen diese Einladung annehmen. Wenn wir der Einladung Jesu Christi folgen, können wir heute schon Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott erleben. Die Gemeinschaft mit unserem dreieinigen Gott stärkt, tröstet und schenkt uns Freude in unserem Glaubensleben“ (alle Zitate aus den o. g. LG).

Kommentar: Bei dem Kapitel 21 des Joh handelt es sich um einen Nachtrag, der, aus welchen Stoffen auch immer gebildet, als eine Einheit konzipiert worden ist (siehe dazu ausführlich Wengst 2000 und 2001). "Das Netz 'voll von 153 großen Fischen' (V 11) lässt sich am besten verstehen als Bild für die Kirche, deren Vollständigkeit und Vollkommenheit herausgestellt wird. Da das Netz nicht zerreisst, bleibt die Einheit der aus so vielen bestehenden Kirche gewahrt" (Wengst, 2001, 316).


Am 04.05.2014 "feiern wir den Sonntag Misericordias Domini - Der gute Hirte. Der Name des Sonntags leitet sich vom Beginn der lateinischen Antiphon ab: Misericordias Domini plena est terra (Ps 33, 5; deutsch: Die Erde ist voll der Güte des Herrn). Wir hören das Evangelium vom Guten Hirten" (aus: Senftleben, Mit dem Kirchenjahr leben, 1988, 59).

Der Wochenpsalm im Ablauf des (ev.) Kirchenjahres ist Ps 23: 
"Der gute Hirte
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar" (LUT).

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich bei Joh 10, 11-16:
"Jesus Christus – der gute Hirte
'Ich bin der gute Hirte. Ein guter Hirte ´ist bereit,` sein Leben für die Schafe herzugeben. Einer, der gar kein Hirte ist, sondern die Schafe nur gegen Bezahlung hütet, läuft davon, wenn er den Wolf kommen sieht, und lässt die Schafe im Stich, und der Wolf fällt über die Schafe her und jagt die Herde auseinander. Einem solchen Mann, dem die Schafe nicht selbst gehören, geht es eben nur um seinen Lohn; die Schafe sind ihm gleichgültig. Ich bin der gute Hirte. Ich kenne meine Schafe, und meine Schafe kennen mich, genauso, wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne. Und ich gebe mein Leben für die Schafe her. Ich habe auch noch Schafe, die nicht aus diesem Stall sind. Auch sie muss ich herführen; sie werden auf meine Stimme hören, und alle werden eine Herde unter einem Hirten sein" (NGÜ).

Kommentar:

Die Ich-bin-Worte des Johannesevangeliums von Thomas Söding

1. Die sieben Ich-bin-Worte des Johannesevangeliums sind Spitzensätze neutestamentlicher Christologie. Sie akkumulieren aber keine Hoheitstitel, sondern beschreiben in starken Worten und klaren Symbolen die Heilsbedeutung Jesu.
  • 6, 35 Ich bin das Brot des Lebens (vgl. 6, 41.48.51);
  • 8, 12 Ich bin das Licht der Welt;
  • 10, 7.9 Ich bin die Tür;
  • 10, 11.14 Ich bin der gute Hirt;
  • 11, 25 Ich bin die Auferstehung und das Leben;
  • 14, 6 Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;
  • 15, 1 Ich bin der wahre Weinstock;
  • Überdies findet sich absolutes ego eimi in 6, 20; 8, 24.58; 13, 19; 18, 5.6.8.
2. Die Basis der Ich-bin-Worte ist die alttestamentliche Offenbarungsformel Gottes: „Ich bin“. Sie begegnet entweder in der absoluten Form oder in einer kennzeichnenden Ergänzung. Das Pathos der alttestamentlichen Offenbarungsformel liegt darin, dass
  • Gott sich offenbart (was alles andere als selbstverständlich ist), also sich erkennbar, ansprechbar, auch verwundbar macht und 
  • er sich als er selbst offenbart, also nicht nur etwas von sich zu erkennen gibt, sondern seine Identität.
Die Kernaussage ist Ex 3,14: „Ich bin, der ich bin“. Im griechischen Judentum ist aus der alttestamentlichen Offenbarungsformel abgeleitet worden, dass Gott allein alles Sein gebührt, dass nur er im vollen Sinn des Wortes „Ich“ sagen kann (Philo von Alexandrien).

3. Schon vorjohanneisch ist die Ich-bin-Formel – gerade in ihrer absoluten Formchristologisch appliziert worden, so in der Selbstoffenbarung Jesu beim Seewandel Mk 6,52 (im Griechischen steht nicht „ich bin es“, sondern nur ego eimi). Die Pointe: Jesus ist die Epiphanie Gottes. In Jesus offenbart Gott sich selbst. (Gerade die Orthodoxie hat dieses Moment besonders stark betont.)

4. Johannes baut die synoptischen Vorgaben aus. Die „Ich-bin-Worte“ müssen nicht ipsissima verba im historisch-kritischen Sinn des Wortes sein, sondern sind „Herrenworte“, in denen sich die Erinnerung an typische Redeformen, den messianischen Anspruch und signifikante Sprach-Bilder wie Verkündigungsthemen Jesu mit christologisch stimulierter Erinnerungsarbeit mischt. Die Ich-bin-Worte sind eminente Selbst-Identifikationen Jesu, die seine Gottessohnschaft voraussetzen und seine absolute Heilsbedeutung zur Sprache bringen. Sie offenbaren sowohl seine Einheit mit dem Vater (10, 30) als auch die radikale Hingabe seines ganzen Lebens für die Rettung der Verlorenen und, mehr noch: für ihre Anteilgabe am ewigen Leben Gottes.

5. Im Gegensatz zu den Gleichnissen Jesu, die mit einer Fülle farbiger Bilder aus der Alltagswelt arbeiten, konzentriert sich die Metaphorik des Johannesevangeliums und speziell der Ich-bin-Worte auf ganz wenige, aber zentrale Symbole wie „Brot“, „Licht“, „Tür“, „Hirt“, „Weg“, „Weinstock“ und Urworte wie „Leben“ und „Wahrheit“. Diese Symbole sind als Archetypen tief in der Religionsgeschichte verwurzelt, haben aber allesamt auch starke Anklänge in der alttestamentlichen Theologie. Die Archetypik macht die Ich-bin-Worte zu Brücken zwischen Religionsgeschichte und Biblischer Theologie; sie schafft Anknüpfungspunkte zum Verstehen für Menschen, die nicht schon durch die Schule biblischer und neutestamentlicher Theologie gegangen sind, lässt sie aber nicht im „Vorhof der Heiden“ stehen, sondern geleitet sie bis ins „Allerheiligste“ des Neuen Testaments.

6. Die Ich-bin-Worte sind jeweils genau auf den Kontext und in ihrer Abfolge auf das Gesamt des Evangeliums abgestimmt.
  • „Brot“ (6,35.52) nimmt nicht nur die „wunderbare Brotvermehrung“, d.h. die Speisung des Gottesvolkes mit den überreichen Lebensgaben Gottes auf (6,1-15), sondern auch die Brotrede, die beim Hunger des Volkes beginnt und über das Manna (6,49) bei der Eucharistie endet (6,52-58). Jesus gibt nicht nur etwas, sondern sich selbst - zum Leben der Welt. 
  • „Licht“ (8,12) bereitet nicht nur die Offenbarungsrede über die Blindheit des Unglaubens wie der Sünde und die Helligkeit des Glaubens wie der Liebe vor (8,12-59), sondern auch das Wunder der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9). Jesus stößt diejenigen, die die Finsternis mehr lieben als das Licht (3,19; vgl. 1,5), nicht in die absolute Dunkelheit zurück, sondern spendet ihnen das Lebens-Licht Gottes. 
  • „Tür“ und „Hirte“ (10,7.9.11) ist Jesus als derjenige, der Juden wie Heiden das Tor zum Reich Gottes öffnet und ihnen seine Gemeinschaft schenkt. Er öffnet nicht nur die Tür, sondern ist diese Tür, weil er das Heil nicht nur zeigt, sondern bringt. 
  • „Auferstehung“ und „Leben“ (11,25) ist Jesus als derjenige, der Lazarus aus dem Grabe holt und damit nicht nur die endzeitliche Auferstehung der Toten antizipiert, sondern die Gegenwart des Heiles mitten im Leben der Glaubenden verheißt: Der Tod hat schon jetzt keine Macht mehr über sie, weil Jesus die Glaubenden und Liebenden auf die Seite des Lebens zieht. 
  • „Weg“ (14,6) ist Jesus als derjenige, der seine irdische Sendung durch den Weg ans Kreuz und über das Kreuz durch seinen Hinübergang zum Vater vollendet (vgl. 13, 1f). Als „Weg“ ist Jesus „Wahrheit“, weil er nicht nur mit seinen Worten, sondern mit seinem ganzen Lebens-Geschick Zeugnis ablegt von der Liebe Gottes; als „Weg“ ist Jesus Leben, weil er zum Vater geht, um die Jünger durch seinen Tod und seiner Auferstehung Anteil nehmen zu lassen an jener Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn, die zur Sendung Jesu geführt hat (3,16) und alles Heil in sich birgt. 
  • „Weinstock“ (15,1) ist Jesus als derjenige, der in Gemeinschaft mit den Jüngern, seinen „Freunden“ lebt (15,1); so wenig die Jünger, losgelöst von Jesus irgend etwas tun können, so sehr gibt Jesus ihnen die Lebenskraft, die sie brauchen. 
7. Die Ich-bin-Worte des Johannesevangeliums sind allesamt einladend und anspruchsvoll zugleich. Sie geben zu erkennen, dass Jesus von Gott her und auf Gott hin mehr als genug, nämlich alles zum Heil der Welt getan und dass er davon in einer klaren, einfachen, verständlichen Sprache handelt, die durch sein Tun gedeckt ist. Sie fordern aber auch heraus, diesem Jesus Folge zu leisten und sich von ihm die Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, schenken zu lassen.


Prof. Dr. Thomas Söding, geb. 1956, lehrt seit 2008 an der RUB Neues Testament. Zuvor war er von 1993 bis 2008 Professor für Biblische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Seine akademische Ausbildung erhielt er mit dem Studium der Kath. Theologie, Germanistik und Geschichte an der Universität Münster. 1979 legte er das Diplom in Theologie, 1980 das Erste Staatsexamen in Germanistik ab. 1985 wurde seine Dissertation über den Glauben bei Markus, 1991 seine Habilitationsschrift über das Liebesgebot bei Paulus in Münster angenommen. Die Schwerpunkte seiner Arbeit in Forschung und Lehre sind die Exegese der Evangelien, die paulinische Theologie, die Theorie und Praxis der Schriftauslegung sowie die Ökumene. Thomas Söding ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher und kirchlicher Gremien, darunter der Akademie der Wissenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen und der Internationalen Theologenkommission im Vatikan.







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