Samstag, 31. Oktober 2015

22. Sonntag nach Trinitatis (Allerheiligen) - Kommentar zu den LG vom 01. November 2015

I

Vorbemerkung: An diesem Sonntag feiern die neuapostolischen Christen einen sogen. Gottesdienst für die Entschlafenen (zur Sonderlehre des sogen. "Entschlafenenwesen" siehe Funkschmidt, 2014, Neuapostolische Forschung zum Entschlafenenwesen und Müller-Bahr, 2014, Sakramentale Handlungen an Toten in der NAK. Beide in: Materialdienst der EZW, 11/2014, 414-416 und 416-427). Als liturgischer Höhepunkt werden in diesen Gottesdiensten in Anwesenheit eines Apostels an lebenden Menschen, in der Regel (höhere) Amtsträger der NAK, sakramentale Handlungen stellvertretend für die bereits Verstorbenen vollzogen. Es "empfangen zwei Amtsträger für die Verstorbenen die Heilige Wassertaufe, die Heilige Versiegelung und das Heilige Abendmahl" (zitiert aus: KNK, 2012, 423). Als biblische Grundlage hierfür gibt die NAK 1. Kor 15, 29 an: "Was soll es sonst, dass sich einige für die Toten taufen lassen? Wenn die Toten gar nicht auferstehen, was lassen sie sich dann für sie taufen" (LUT)? Mit Bezug auf die o. g. Bibelstelle attestiert Klauck den Korinthern ein "verzerrtes Taufverständnis: Manche Gemeindemitglieder (...) lassen sich ein zweites Mal taufen, stellvertretend für einen heidnischen Verwandten oder Freund, der ungetauft verstorben ist. Ihm sollen die Wirkungen der Taufe, Geistverleihung, ewige Rettung, Unsterblichkeit nachträglich noch zugute kommen" (Klauck, 1 Kor. In: Die neue Echter Bibel. Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung, 115f). Die Taufe für die Toten "lässt auf ein magisches Verständnis der Taufe schließen, das Paulus nicht teilt (vergl. 1 Kor 10, 1-5)." Paulus greift an dieser Stelle offenbar nicht strenger ein, um die noch junge "Auferstehungshoffnung" (der Korinther) nicht zu verunsichern, die die Totenauferstehung eigentlich ablehnten (ELB, 1524). Vergl. dazu auch: Wischmeyer, Paulus, 2006, 157f.
Die Erlösung steht im engen Zusammenhang mit dem Kirchen- und damit Selbstverständnis der Neuapostolischen Kirche: Nach ihrer Auffassung tritt Kirche dort am deutlichsten zutage, "wo das Apostelamt, die Spendung der drei Sakramente an Lebende und Tote sowie die rechte Wortverkündigung vorhanden ist. Dort ist das Erlösungswerk des Herrn aufgerichtet" (KNK, 2012, 281). Die Erlösungslehre (Seteriologie) der NAK ist also stark an das Apostelamt gebunden, wobei der NAK zwischen dem Apostelamt (gemeint sind in der aktuellen Zeit aktive Apostel der NAK), den Aposteln aus den biblischen Erzählungen und dem "apostolischen Prinzip" unterscheidet.

Demgegenüber ist die Seteriologie der Katholischen Kirche klar auf Christus bezogen. Christus wir als "Ort der Seteriologie" (378) bezeichnet. Christologie und Erlösungslehre sind nicht voneinander zu trennen (Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik, 1, 2006, 241ff).

In der evangelischen Dogmatik wird die Erlösung im Zusammenwirken des Dreieinigen Gottes betrachtet und als "das befreiende Heilswerk in Jesus Christus" bezeichnet. Die Seteriologie wird eng mit dem Gnadenbegriff, dem Gerechtigkeitsbegriff und mit der Rechtfertigungslehre verknüpft. "Gnade ist nach biblischen Verstehen ein Geschehen ohne menschliches Zutun und nicht von Gott trennbar (auch nicht im Sinne treuhänderischer Verfügbarkeit durch Menschen), (...). Gottes Gerechtigkeit ist ein Handeln, das Heil und Errettung schafft (Thiele, Was wir glauben. Leitfaden evangelischer Dogmatik, 1996, 286ff). Siehe dazu auch: Barth, Karl, Dogmatik im Grundriß, 1947/1998 und Küng, Hans, Rechtfertigung, 1986.

Einleitung: „Die Gottesdienste im Monat November haben 'die letzten Dinge' zum Thema, also das Heil für die Entschlafenen und unsere Zukunftshoffnung: Wiederkunft Christi, königliche Priesterschaft, Überwindung des Todes und die Auferstehung der Toten. Mit dem letzten Sonntag des Monats beginnt das neue Kirchenjahr.
Der erste Sonntag im November ist den Entschlafenen gewidmet. Ausgangspunkt ist der Bericht von der Begegnung Jesu mit einer Samariterin am Jakobsbrunnen. Die Samariter wurden von den frommen Juden abgelehnt und so vermied man jeden Kontakt zu ihnen. Jesus setzte sich über diese Vorurteile hinweg und machte deutlich, dass das Heil keine Grenzen kennt. Kein Mensch und kein Volk ist vom Heil ausgeschlossen. Allerdings ist Heilsaneignung kein Automatismus, es muss beim Menschen die Erkenntnis vorhanden sein, dass man sein Heil nicht erarbeiten kann, sondern auf das Geschenk des Heils angewiesen ist. Diese Erkenntnis ist für Lebende und Tote gleichermaßen notwendig. In den Gebeten für die Entschlafenen bitten wir Gott, dass sie ihre Heilsbedürftigkeit erkennen mögen.“

Die Leitgedanken für die Predigt tragen die Überschrift: „Erkennen der Gabe Gottes“

Lesung und gleichzeitig Predigtgrundlage für die Gottesdienste der NAK ist „Joh 4, 10: Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser.“ (LUT)

Als Kernbotschaft wird folgendes formuliert: „Um Heil zu erlangen, muss der Mensch darum bitten und die Gaben Gottes erkennen.“

Die Bibelstelle wird in den folgenden Kontext gestellt: „Joh 4, 5-38 erzählt von der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen. Die Samariter wurden von den frommen Juden abgelehnt und ihr Glaube als dem der Juden nicht gleichwertig angesehen. Dessen ungeachtet sprach der Herr diese Frau an, obwohl es zudem für einen Frommen unangemessen war, eine Frau anzusprechen und sie sogar um etwas zu bitten.“

Schließlich werden die LG so zusammengefasst: „Gott hat seinen Sohn gesandt für alle Menschen, Heil ist Lebenden und Toten zugänglich:
  • Zuerst wendet sich Christus dem Menschen zu.
  • Als Antwort des Menschen ist erforderlich: Erkenntnis der Gaben Gottes und das Verlangen nach dem Heil.
  • Gebete für unerlöste Entschlafene helfen, dass diese Erkenntnis und das Verlangen nach Hilfe bei ihnen wachsen“ (alle Zitate aus den o. g. LG).
Kommentar: Die Predigtgrundlage des heutigen Sonntags ist einer Geschichte im JohEv entnommen, die in der NGÜ mit "Jesus und die samaritanische Frau: Das Wasser, das den Durst für immer löscht" überschrieben ist. Johannes bringt in diesem Gleichnis alle seine Anliegen unter. Der Prolog zum Johannesevangelium soll unmissverständlich und unzweideutig klar machen, „dass es im Evangelium bei der Darstellung der Geschichte Jesu um nichts weniger als um Gott selbst geht, dass Er in dieser Geschichte vernehmbar wird. (…) In dem erniedrigten und getöteten Jesus kommt Gott selbst zum Zuge, als der Ort der Präsenz Gottes in der Geschichte“ (Wengst, 2004, 48).
Im Gegensatz zu den Gleichnissen Jesu, die mit einer Fülle farbiger Bilder aus der Alltagswelt arbeiten, konzentriert sich die Metaphorik des Johannesevangeliums auf ganz wenige, aber zentrale Symbole wie hier "das Wasser des Lebens." Diese Symbole sind als Archetypen tief in der Religionsgeschichte verwurzelt, haben aber allesamt auch starke Anklänge in der alttestamentlichen Theologie. Die Archetypik macht diese Worte zu Brücken zwischen Religionsgeschichte und Biblischer Theologie; sie schafft Anknüpfungspunkte zum Verstehen für Menschen, die nicht schon durch die Schule biblischer und neutestamentlicher Theologie gegangen sind, lässt sie aber nicht im „Vorhof der Heiden“ stehen, sondern geleitet sie bis ins „Allerheiligste“ des Neuen Testaments (Thomas Söding, Post vom 4.5.2014 in diesem Blog).

In der Geschichte am Jakobsbrunnen geht es um die Metaphern "Durst" und Wasser. Wer kennt ihn nicht, den Durst nach Abendteuer, nach Freiheit, nach Lebendigkeit, nach Verständnis, nach Nähe und Aufgehoben-sein in geglückten Beziehungen. Durst ist also sowohl aus psychologischer als auch in einer rein biologischer Sicht existenziell. Am Jakobsbrunnen fügt Jesus resp. Johannes nun die spirituelle Ebene hinzu, die er als ebenso existenziell versteht. Das durstlöschende Wasser wird zum Bild für die Offenbarung Gottes in der Geschichte und zum lebendigen, ewigen Geist (Joh 1, 1: "Am Anfang war das Wort").
"Während seines Wirkens offenbart Jesus Gott durch seine Worte und Taten, und nach seiner Auferstehung und Rückkehr zum Vater führt der Geist die Offenbarung Gottes an das Volk [und die Welt; MS] fort. Daher kann das Bild des Wassers für die Offenbarung und für den Geist verwendet werden." Jesus wird als der "Lebensspender" vorgestellt, der es dem Menschen ermöglicht durch die Offenbarung und den Geist selber ein lebendiges Wasser zu sein, das seinen Ursprung in Gott hat (C. R. Koester, Wasser ist nicht gleich Wasser (Vom lebendigen Wasser), 735. In: Zimmermann, 2007, 731-736).



An diesem Sonntag feiern wir den 22. Sonntag nach Trinitatis (Allerheiligen) - Er hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen.

„Der 22. Sonntag nach Trinitatis befasst sich mit Schuld im weiteren Sinne, bekommt aber sein Thema vom Gleichnis vom "Schalksknecht", das die Bitte des Vaterunsers "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern" deutlich unterstreicht. Andere Aspekte der Schuld, die an diesem Sonntag durch die Perikopen angesprochen werden, sind die der Sündenvergebung und -bindung (!) durch die Nachfolger Jesu, der unbedingten Sündhaftigkeit des Menschen, selbst gegen seinen Willen, durch das Gesetz, und die der Unfähigkeit des Menschen, seine Schuld wieder gutzumachen. Die Vielschichtigkeit von Schuld macht es unmöglich, dieses Thema letztgültig abzuhandeln, da man auch immer selbst in der Schuld verhaftet ist und sich damit auch nicht zum Richter über andere erheben kann.

Am 22. Sonntag nach Trinitatis hören wir das Gleichnis vom Schalksknecht. Wir erfahren das kostbare Geschenk der Vergebung unserer unermesslichen Schuld durch den Tod Jesu Christi und danken Gott dafür, indem wir selbst unser Leben durch die Kraft der Vergebung gestalten und uns unserem Nächsten vergebend zuwenden“ (www.daskirchenjahr.de).

Die Bachkantaten (Johann Sebastian Bach 1685-1750) für den heutigen Sonntag sind:
  • Ich armer Mensch, ich Sündenknecht (BWV 55)
  • Was soll ich aus dir machen, Ephraim (BWV 89)
  • Mache dich, mein Geist, bereit (BWV 115)

Im Verlauf der fortlaufenden Bibellese hören wir den Psalm 22, 23-32:
Von Gott verlassen – und dennoch erhört
Ich will meinen Brüdern verkünden, wie groß du bist, mitten in der Gemeinde will ich dir Loblieder singen. Alle, die ihr vor dem Herrn Ehrfurcht habt, preist ihn! All ihr Nachkommen Jakobs, gebt ihm die Ehre! Begegnet ihm mit Demut und Verehrung, all ihr Nachkommen Israels! Denn der Herr hat sich von der Not des Hilflosen nicht abgewandt und seine Leiden nicht verachtet. Ja, der Herr hat sein Angesicht nicht vor ihm verhüllt, sondern auf ihn gehört, als er um Hilfe rief. Du, Herr, gibst mir Grund dafür, dich zu loben inmitten der großen Gemeinde. Mein Gelübde will ich erfüllen vor den Augen derer, die dem Herrn in Ehrfurcht dienen. Die Armen sollen wieder essen und satt werden. Die den Herrn suchen, sollen ihn preisen. Euer Herz lebe auf, es lebe ewig! An allen Enden der Erde wird man zur Einsicht kommen, und die Menschen werden zum Herrn umkehren. Alle Völker werden sich vor dir, ´Herr`, niederwerfen und dich anbeten. Denn dem Herrn gehört das Königtum, er herrscht über alle Völker. Die Großen der Erde werden ein Festmahl halten und sich anbetend vor dem Herrn niederwerfen. Auch alle, die in den Staub des Todes sinken, werden vor ihm niederfallen, alle, die keine Kraft mehr zum Leben haben. Die kommenden Generationen werden ihm dienen. Denen, die noch geboren werden, wird man vom Herrn erzählen. Verkünden wird man zukünftigen Völkern seine Rettungstaten. Man wird sagen: »Der Herr hat alles vollbracht!« (NGÜ)

Die Epistel steht in Phil 1, 3-11.

Die Lesung aus dem Evangelium findet sich in Mt 18, 21-35:
Unbegrenzte Bereitschaft zur Vergebung
Da wandte sich Petrus an Jesus und fragte ihn: »Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester an mir schuldig wird, wie oft muss ich ihnen verzeihen? Siebenmal?« Jesus antwortete: »Nein, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal!«
Das Gleichnis vom hartherzigen Schuldner
Jesus fuhr fort: »Macht euch klar, was es bedeutet, dass Gott angefangen hat, seine Herrschaft aufzurichten! Er handelt dabei wie jener König, der mit den Verwaltern seiner Güter abrechnen wollte. Gleich zu Beginn brachte man ihm einen Mann, der ihm einen Millionenbetrag schuldete. Da er nicht zahlen konnte, befahl der Herr, ihn zu verkaufen, auch seine Frau und seine Kinder und seinen ganzen Besitz, und den Erlös für die Tilgung der Schulden zu verwenden. Aber der Schuldner warf sich vor ihm nieder und bat: ›Hab doch Geduld mit mir! Ich will dir ja alles zurückzahlen.‹ Da bekam der Herr Mitleid; er gab ihn frei und erließ ihm auch noch die ganze Schuld. Kaum draußen, traf dieser Mann auf einen Kollegen, der ihm einen geringen Betrag schuldete. Den packte er an der Kehle, würgte ihn und sagte: ›Gib zurück, was du mir schuldest!‹ Der Schuldner fiel auf die Knie und bettelte: ›Hab Geduld mit mir! Ich will es dir ja zurückgeben!‹ Aber sein Gläubiger wollte nichts davon hören, sondern ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld beglichen hätte. Als das seine anderen Kollegen sahen, konnten sie es nicht fassen. Sie liefen zu ihrem Herrn und erzählten ihm, was geschehen war. Er ließ den Mann kommen und sagte: ›Was bist du für ein böser Mensch! Ich habe dir die ganze Schuld erlassen, weil du mich darum gebeten hast. Hättest du nicht auch Erbarmen haben können mit deinem Kollegen, so wie ich es mit dir gehabt habe?‹ Dann übergab er ihn voller Zorn den Folterknechten zur Bestrafung, bis er die ganze Schuld zurückgezahlt haben würde. So wird euch mein Vater im Himmel auch behandeln, wenn ihr eurem Bruder oder eurer Schwester nicht von Herzen verzeiht.« (GNB)

Kommentar: Offenbar besteht die größte Sünde darin, dem Nächsten nicht zu vergeben. Es ist die Sünde, die der König im Gleichnis nicht vergibt. Auch finden wir in Lk 10, 12: "Und wer ein Wort gegen den Menschensohn sagt, dem soll es vergeben werden; wer aber den Heiligen Geist lästert, dem soll es nicht vergeben werden." (LUT)
Darf aus der Richtigkeit beider Aussagen geschlossen werden, dass wir den Heiligen Geist als den Geist der Vergebung ansehen sollen, ja müssen?
"Die Ausgießung des Heiligen Geistes durch Jesus Christus begabt die Menschen mit verschiedenen Gaben (Charismen). So bilden sie den 'Leib Christi' mit seinen verschiedenen Gliedern. Diese Betonung der Erbauung einer differenzierten Gemeinschaft steht den vielen Aussagen über die 'Einheit des Geistes' nicht entgegen. (...) Unter dem Wirken des Geistes werden die Gottsuche und die Liebe zu Gott konkret. (...) Die Einheit des Geistes ist die Einheit und das Zusammenspiel der verschiedenen Geistesgaben. Die Einheit des Leibes Christi ist die Einheit des Leibes mit seinen verschiedenen Gliedern. Es ist ein Leib, bei dem gerade die kreativen Unterschiede seiner Glieder für die lebendige Einheit entscheidend sind (1. Kor 12, 13ff)" / Michael Welker: Heiliger Geist, 109f. In: Hübener & Orth, 2007, 107ff. Die Vergebung ist also die Voraussetzung und der Motor dafür, dass die Gottsuche und die Liebe zu Gott konkret werden und die Einheit und das Zusammenspiel der verschiedenen Geistesgaben, Talente und Begabungen gelingen kann.

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